1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
Goldwaage.
„Ich gehe den Camino seit über sieben Jahren. Ich liebe den Camino. Aber in der letzten Zeit kommen zu viele Touristen. Sie zerstören den Weg.“ — Puhh... das musste ich erst mal sacken lassen. Monica erzählte mir, dass sie den Weg schon rauf und runter gelaufen war. Immer, wenn es ihre Zeit erlaubte, also wenn sie Urlaub hatte, ging sie auf den Weg. Manchmal für ein bis zwei Wochen, manchmal für wenige Tage oder auch nur für ein Wochenende.
„Es hat in den letzten Jahren Veränderungen gegeben. Immer mehr Touristen laufen auf dem Weg. Pseudo-Pilger, die von der Natur und Mystik des Jakobsweges nicht die blässeste Ahnung haben“, sagte sie eindringlich, „sie entweihen den Weg und sind für die Überfüllung der Herbergen verantwortlich. Richtige Pilger, die erst am Abend nach einer langen, anstrengenden Reise ein Bett suchen, stehen vor belegten Refugios, weil die Touristen nur kurze Etappen gehen, oder sich sogar teilweise fahren lassen.“
Ihre Worte rührten mich zutiefst. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mich auf diese Weise mit dem Jakobsweg zu beschäftigen.
„Du wirst gegen Ende des Caminos, wenn du in die Nähe von Santiago de Compostela kommst Dinge erleben, die dich an meine Worte erinnern werden.“ Monica erzählte mir, dass die Spanier eine bessere Aussicht auf einen Job haben, die eine Compostela in ihre Bewerbungsunterlagen beifügten. Viele würden nur die letzten ein- oder zweihundert Kilometer gehen, die nötig sind, um die Compostela, also die Urkunde, die beweist, dass man den Jakobsweg gegangen ist, zu erhalten. Wirkliche Pilger würden immer seltener, je näher man Santiago kommen würde. Aber nicht nur die Spanier selbst würden den Camino nicht mit dem nötigen Respekt behandeln. Ein wahrer Boom auf den Jakobsweg hätte sich eingestellt.
„Und wer zum Henker ist Hape Kerkeling?“ Die Frage hatte ich die ganze Zeit erwartet. Ich schmunzelte, denn ich wusste nicht auf Anhieb, wie ich sie beantworten sollte.
„Jeder Deutsche, mit dem ich mich unterhalte, erwähnt seinen Namen und sein Buch. Ist das ein Philosoph, der plötzlich den Jakobsweg entdeckt hat?“ Ihre Frage schien berechtigt, aber ich bat Monica um eine Pause — ich hatte Hunger.
„Ich besorge etwas“, sagte sie, stand auf und ging an die Theke zu Ralph. Nach einer Weile kam sie zurück und stellte mir ein Glas mit einem rötlichen Getränk auf den Tisch.
„Das ist ein ganz besonderer spanischer Likör“, schmunzelte sie, „und gleich bekommen wir noch einen Rest vom heutigen Menü.“ Sie hatte etwas mütterlich Fürsorgliches an sich, dass ich gerade in diesem Moment sehr genoss.
Martin kam mit Bruno aus dem Ort zurück. Für die beiden war die Reise zu Ende. Nach einer Woche Jakobsweg fuhren sie morgen früh mit dem Bus zurück nach Hause. Nach ein paar Minuten verabschiedeten sie sich, denn langsam wurde es Zeit fürs Bett. Monica löffelte die letzten Makkaroni und kam ohne Umschweife wieder zum Thema. Was sollte ich ihr jetzt über das Phänomen Hape Kerkeling und der Jakobsweg erzählen? Was hatte sie gefragt, Hape Kerkeling ein deutscher Philosoph? Sorry, Hape, aber das konnte ich nicht so stehen lassen. Sollte ich ihr sagen, dass er ein Komiker ist, der dadurch bekannt geworden war, dass er Königin Beatrix täuschend echt imitiert hatte? Oder dass er rote Mitropa Kaffeemaschinen und Plastik-Bambis an Prominente verteilte? Von Horst Schlämmer ganz zu schweigen. Nein, das hätte wohl nicht wirklich geholfen.
„Hape Kerkeling ist ein deutscher Entertainer, der sich dadurch auszeichnet, authentisch aufzutreten. Er stellt im deutschen Fernsehen genau das dar, was er ist. Er ist lustig und einfach sehr sympathisch.“ Ich sagte einfach, was ich dachte. Ich erzählte ihr, wie und warum er 2001 den Jakobsweg gegangen war. Dass sein Buch eigentlich nicht geplant gewesen, es in Deutschland aber trotzdem weit über drei Millionen mal verkauft wurde, und so den Jakobsweg erst richtig bekannt gemacht hatte.
„Über drei Millionen mal“, staunte Monica, „dann ist es nicht verwunderlich, dass ihn hier jeder kennt. Hast du sein Buch auch gelesen?“
Ich erzählte ihr, dass sein Buch, an das ich ja per „Zufall“ gekommen war, schon nach den ersten Seiten schuld daran sei, dass ich mich auf den Weg gemacht hatte.
„Es ist nicht gut, wenn so viele Menschen auf den Camino kommen“, Monica hatte wieder diesen ernsten Gesichtsausdruck, „er ist nichts für Touristen. Und wenn du
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