1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
ging in den Flur. Das ganze riesige Refugio war leer, alle weg. Doch plötzlich hörte ich schnelle Schritte. Bruno lief auf mich zu und reichte mir seinen Pilgerstab.
„Den brauch’ ich ja jetzt nicht mehr. Er soll dir Glück bringen“, sagte er und genau so schnell wie er gekommen war, lief er auch wieder davon. Ich hatte nicht einmal die Möglichkeit, mich richtig zu bedanken. Die Tränen standen mir in den Augen. Man sagt, dass man sich seinen Pilgerstab nicht einfach so kauft, sondern dass man irgendwie von ihm angesprochen wird. Der Pilgerstab ist etwas ganz, ganz besonderes und dieser sechzehnjährige Junge hatte keine Ahnung, welche tiefe Freude er mir damit gemacht hatte.
In aller Ruhe packte ich meinen Rucksack zusammen, was sich nun, da so viele Dinge nicht mehr hinein gehörten, viel einfacher gestaltete. Ich betrachtete die Dinge, die nun aussortiert waren, es mussten gut drei Kilo sein, als ich wieder Schritte auf dem Flur hörte. Ralph schaute ins Zimmer.
„Was machst du denn noch hier? Warum bist du noch nicht raus?“ Seine Stimme klang erstaunt und etwas lautstark.
„Ich dachte, ich bleibe mal hier heute. Das Wetter soll ja schlecht werden.“ Meine Worte kamen aber wohl nicht so richtig bei ihm an.
„Wie bitte? Was glaubst du, was das hier ist? Ein Hotel, oder was? Und du? Du bist ein Pilger! Pack’ deinen Kram und verschwinde hier.“
Seine Augen wurden immer größer und ich realisierte, dass das jetzt ein echter Rauswurf war. Ich hatte mich von dieser Anlage echt täuschen lassen. Auch wenn es richtig gemütlich und einladend war, es ist und bleibt eine Pilgerherberge. Und in der darf man als Pilger eine Nacht bleiben. Eine!
„Was sind das hier für Sachen?“ fragte er mich deutete auf meine Hinterlassenschaft.
„Oh. Die Sachen brauche ich nicht mehr. Willst du sie haben?“ antwortete ich. Seine Gesichtszüge wurden wieder freundlicher.
„Das ist sehr gut. Wir haben hier eine Kammer, wo wir solche Sachen aufbewahren und Pilger, denen etwas fehlt, kostenlos mit allem Möglichen versorgen. Pack’ aber jetzt deine Sachen zusammen.“
Als ich an seiner Theke vorbeikam, spendierte er mir noch einen Kaffee und wies mich dann, mit seinen besten Wünschen, zu gehen. Ich trat vor die Türe, wo mir der Wind ins Gesicht blies, aber der Regen hatte aufgehört. Ich blickte zum Himmel und erkannte sogar blaue Stellen. Ich streifte mir den Rucksack auf und — hey — war das ein Unterschied! Ich hatte den Eindruck mehr als nur drei Kilo weniger zu tragen.
Ich nahm meinen neuen Pilgerstab, begrüßte ihn mit der Bitte, er möge mich ab heute treu begleiten und schritt voran wie ein richtiger Pilger. Jeden Tag, an dem ich bisher gestartet war, war es immer ein tolles Gefühl wieder unterwegs zu sein.
Aber an diesem Morgen war es ganz besonders schön und die Freude, gerade hier zu sein, besonders groß. Ich war schnell unterwegs. Die fehlenden Kilos in meinem Rucksack machten sich sehr positiv bemerkbar. Dadurch, dass ich recht spät gestartet war, traf ich ausschließlich fremde Pilger auf dem Weg.
Er führte entlang durch schöne Weinberge, die gesäumt waren von Brombeerhecken, die sich teilweise über hunderte von Metern erstreckten. An einer besonders ergiebigen Stelle kam ich mit zwei Schwestern aus Kiel ins Gespräch.
„Ist das nicht herrlich“, schwärmte die eine, „ man braucht nur die Hand auszustrecken und Gott ernährt einen.“ Gut, das war eine Einstellung, über die ich noch nicht nachgedacht hatte.
„Gestern hatten wir in einem kleinen Ort nach einem Café oder Restaurant gesucht, aber alles war zu. Als wir eine ältere Dame im Ort gefragt hatten, wo wir etwas zu essen finden können, ging diese in ihr Haus, und bat uns nach ein paar Minuten hinein. Sie führte uns in die Küche, wo der Esstisch für uns gedeckt war.“ Bei diesen Worten zitterte ihre Stimme.
„Die Menschen hier sind so liebevoll und freundlich“, sagte sie. Die beiden waren schätzungsweise um die dreißig Jahre alt und schienen sehr religiös zu sein. Sie hatten sich nach dem plötzlichen Tode ihrer Mutter auf den Weg gemacht.
„Wir kehren in jedes Gotteshaus ein und beten dort.“ Ihre Augen strahlten vor Glück und ich fragte mich, wo da die Trauer über den Verlust der Mutter war. Wir hatten nur ein kurzes Gespräch, aber ich vermute, dass sie den Jakobsweg nutzten, um sich auf diese Weise von ihrer Mutter zu verabschieden.
Nach einem kurzen Anstieg kam ich in einem kleinen Dorf an
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