1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
Straße ein Auto entgegenkam, dem ein Vogel an die Windschutzscheibe klatschte. Das Tier blieb flatternd auf der Straße liegen. Ich ging zu ihm und hob ihn auf, damit er nicht vom nächsten Auto überfahren wurde. Ich nahm den Vogel in meine Hand und wollte ihn neben dem Weg ins Gebüsch legen. Nach ein paar Metern spürte ich, dass er sich nicht mehr bewegte, er war in meinen Händen gestorben. Ich schaute den Büschel Federn in meiner Hand eine Weile an und wurde sehr traurig.
„Wieso passiert mir so etwas hier auf dem Jakobsweg?“ wollte ich wissen.
Noch mit dem Tier in der Hand kam ich in das Museumsdorf O Cebreiro, das seit dem neunten Jahrhundert von einigen Benediktinermönchen als Pilgerherberge betreut wurde. Ich betrat die kleine Kirche „Santa Maria la Real“, das älteste Heiligtum am Jakobsweg und träufelte etwas Weihwasser über den Vogel. Dann ging ich nach draußen und scharrte ihm ein kleines Grab. Ich hatte keine Ahnung, warum mich das Ereignis so getroffen hatte. Es war doch nur ein Vogel gewesen.
Ich versuchte das Ganze zu vergessen und besichtigte das Museumsdorf. Einige große Hunde fielen mir auf, die schlafend an den Häusern lagen. An einem Stand kaufte ich Bananen und setzte mich in ein kleines Café.
Aber ich fand keine richtige Ruhe und entschloss, mich wieder auf den Weg zu machen. In meinem Reiseführer stand, dass der Weg aus dem Dorf schlecht beschrieben war und das sollte stimmen. Zwei Touristen deuteten mir eine Richtung, die sich aber als falsch herausstellte. Ich mochte es gar nicht, wenn ich in der falschen Richtung unterwegs war.
In der Herberge fragte ich eine Frau nach dem richtigen Weg, auf dem ich kaum fünf Minuten unterwegs war, als mir auffiel, dass ich ohne meinen Pilgerstab wanderte. Jetzt wurde ich aber richtig hektisch. Im Eilschritt marschierte ich schon wieder ins Dorf zurück, vorbei an einer blonden Frau mit rotem Rucksack, der ich am Vortag schon einmal begegnet war. Ich versuchte zu überlegen, wo ich denn meinen Stab liegen gelassen hatte. Ich suchte in der Kirche, dann im Café — nichts.
Ich fragte den Bananenverkäufer, ob ich bei ihm meinen Pilgerstab noch gehabt hatte. Nun bemerkte ich, wie sich alle Personen, die ich gefragt hatte, auf die Suche nach meinem Stab machten. Dann rief der Bananenverkäufer und winkte mit meinem Stab. Ich hatte ihn an einer Mauer stehen lassen, als ich ein Foto von der Kirche gemacht hatte. Ich bedankte mich herzlich und machte mich abermals auf den Weg.
„Es war doch nur ein Stück Holz, der ehemalige Ast eines Baumes“, sagte ich zu mir, aber ich hatte das Gefühl, dass ich nicht ohne ihn weiter gehen konnte. Ich tastete mich noch mal komplett ab, ob in meinen Taschen alles komplett war und wanderte kopfschüttelnd, leicht bergauf in einen wunderschönen Nadelwald.
Trotz dieser herrlichen Landschaft war meine Stimmung schlecht. Ich hatte mich so auf Galizien gefreut. Sollte das an dem toten Vogel liegen? Oder war es die Tatsache, dass mir meine Freunde fehlten? Ich hatte mir heute einen sehr langen Weg vorgenommen, doch ich merkte, wie meine Kräfte schwanden.
Nach einem kurzen, aber sehr steilen Aufstieg kam ich an ein Restaurant mit Hostal. Ich bestellte mir zunächst eine Portion Nudeln, denn ich hatte den Eindruck, ich müsse schnell etwas essen. Die hektisch eingenommene Mahlzeit brachte aber keine Besserung und ein leichter Schwindel setzte ein. Ich entschloss, mir hier ein Zimmer zu nehmen und mich schleunigst in ein Bett zu legen, doch der junge Mann an der Rezeption sagte, es sei nichts frei.
„Es ist mir egal, was es kostet“, sagte ich zu ihm, aber er schüttelte nur den Kopf. Ich schaute ihn an und Verzweiflung stieg in mir hoch. Der nächste Ort war fünf Kilometer entfernt und ich befürchtete in meiner körperlichen Verfassung diese Strecke nicht zu schaffen. Aber es blieb mir nichts anderes übrig und so trottete ich langsam und widerwillig los.
„Wenn ich ganz langsam und gemächlich gehe, schaffe ich das bestimmt“, versuchte ich mich zu beruhigen und fing unweigerlich an zu heulen.
Für die schöne Landschaft hatte ich keinen Blick mehr. In jedem kleinen „Kuhdorf 1 , durch das ich lief, schaute ich mich nach einer Herberge um. In meinem Reiseführer hatte gestanden, dass sich in dieser Gegend viele „Casa rurales“, kleine Landhotels befinden sollten. Und endlich, direkt hinter einem Kuhstall fand ich eines dieser Einrichtungen, das auch gleichzeitig eine Pilgerherberge
Weitere Kostenlose Bücher