1002 - Höllenqualen
Haus. Ein Haus, in dem einmal Menschen gelebt hatten, nun aber tot waren. Und mit ihrem Tod schien auch das Leben aus dem Haus gewichen zu sein. Es hatte sich durch die Mauern gequält und war irgendwo versickert.
Es ängstigte Suko nicht, das Haus zu betreten, es war ihm nur so anders. Wie auch die gesamte Umgebung. Seine Sinne waren noch schärfer geworden. Er nahm jeden Atemzug deutliches wahr, selbst die Geräusche unten aus dem Ort. Vom Friedhof her schickte ihm die Turmuhr einen Gruß herüber.
Es wurde wieder still.
Suko empfand diese Ruhe als doppelt so stark. Vor der Tür stoppte er. Um das Haus zu betreten, mußte er keine Polizeisiegel aufbrechen. Er fand auf Anhieb den richtigen Schlüssel und schloß auf.
Die Tür drückte er nach innen. Er schaute zu, wie sie behäbig aufschwang. Der Blick in die große Diele war ihm nicht fremd. Warme Luft wehte ihm entgegen, aber auch sie kam ihm anders vor als sonst. Er konnte es nicht beschreiben, es war alles wie sonst, aber es war für ihn auch spürbar, daß die beiden Sinclairs ihren Wohnbereich nicht mal für zwei Stunden verlasen hatten, sondern für immer.
Er schüttelte den Kopf über diesen Gedanken, als er das Haus betrat und die Tür wieder zudrückte.
Jetzt war es ganz still. Erst als Suko über die Holzbohlen und dann über den Teppich auf die Küchentür zuging, hörte er wieder die Geräusche. Es drängte ihn einfach in die gemütliche Wohnküche. Oft genug hatte er dort zusammen mit seinem Freund John und dessen Eltern zusammengesessen. Für Suko war dieser Besuch auch so etwas wie ein Abschied für immer.
In der Küche hatte sich nichts verändert. Vielleicht war es ein wenig kälter als sonst. Das konnte auch an der nicht mehr vorhandenen menschlichen Wärme liegen, die eine Mary Sinclair so ausgestrahlt hatte. Suko knirschte vor Wut mit den Zähnen. Nichts würde mehr so sein wie früher, gar nichts.
Wie gern hatte er immer auf der Eckbank gesessen, wenn Mary Sinclair wieder eines ihrer berühmten Essen gekocht oder ein opulentes Frühstück serviert hatte.
Vorbei, alles war vorbei. Es war Vergangenheit, nur noch in der Erinnerung existierend.
Suko durchschritt die Küche wie jemand, der etwas suchte, ohne zu wissen, was es war.
Er kam sich manchmal vor wie der eigene Sohn. Der aber war verschwunden, eingetaucht in irgendwelche Zeiten. Möglicherweise würde er dort auch vom Fluch der Sinclairs verfolgt, damit noch der letzte Name ausgelöscht wurde.
Suko verließ die Küche wieder. Die große Diele hatte er schon durchwandert. Nach oben wollte er zunächst einmal nicht gehen, sondern in den Gang hinein, wo sich auch das Arbeitszimmer des Horace F. Sinclair befand.
Bisher hatte Suko nur gehört, daß hier im Haus geschossen worden war. Im Flur bekam er den Beweis dafür. Zunächst einmal war der Gewehrschrank nicht geschlossen. Suko erkannte sofort, daß mehrere Waffen fehlten, weil einige Halterungen leer waren.
Nur wenige Schritte entfernt stand die Tür zum Arbeitszimmer offen.
Dort hinein hatte Sinclair geschossen und auch die Türkante erwischt. Zumindest mit einem Teil der Ladung. Die andere Hälfte war in das Zimmer hineingefahren. Der Schrot hatte sich in den Teppich gebohrt und ihn an verschiedenen Stellen aufgerissen.
Auch der Schreibtisch und die Rückwand eines Ledersessels wiesen Einschußlöcher auf.
»Es ist also jemand hier gewesen«, flüsterte Suko vor sich hin.
»Und er war bestimmt kein Gast. Aber wer…?«
Niemand gab Suko eine Antwort, und es waren keine Spuren zu sehen, die auf einen Täter hinwiesen. Nur die Einschüsse der Schrotladung belegten, daß hier etwas vorgefallen war.
Da die Sinclairs noch hatten fliehen können, schien Horace den Eindringling getroffen zu haben, da war sich Suko ziemlich sicher.
Er durchsuchte das Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lagen noch Schriftstücke, mit denen sich der Hausherr beschäftigt hatte.
Suko warf einen schnellen Blick darauf, aber von diesem Vertragskram verstand er nichts.
Neben dem Schreibtisch blieb er stehen. Das Fenster im Rücken. Er hatte kurz nach draußen geschaut und dort keine Veränderungen entdeckt.
Daß man in London auf einen ersten Lagebericht wartete, wußte Suko auch. Er telefonierte nicht vom Apparat der Sinclairs aus, sondern nahm sein Handy.
Die Verbindung stand bald, und er hörte die Stimme seines Chefs sehr deutlich.
»Ja, Sir, hier bin ich.«
»Wo sind Sie?«
»Im Haus.«
Mehr hatte er nicht zu sagen brauchen. Er hörte,
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