1011 - Laurins Totenwelt
auf dem Weg zum Ziel etwas gesehen. Trotzdem glaubte ich nicht daran, daß sie verschwunden waren. Hier, wo ich stand, hatten sie ihre Heimat gefunden, zugleich eine Basis, von der aus die würgenden Klauen agieren konnten.
Auffällig war auch die Stille. In meiner Umgebung raschelte nichts. Auch der Fels bewegte sich nicht. Er lag um mich herum wie in einem tiefen Schlaf.
Es gefiel mir nicht, in der Finsternis zu bleiben. Ich holte die kleine Lampe wieder hervor, und das Licht stellte ich so ein, daß es sich fächerförmig ausbreitete.
Ich löste die Dunkelheit an einer bestimmten Stelle auf. Der Strahl brach eine helle Bahn in diese Höhle hinein. Es war wie ein Tuch, in dem auch die zahlreichen Staubkörner tanzten. Die Höhle mußte wirklich tief in den Berg hineinführen, denn das Licht traf auf kein Hindernis.
Ich drehte die Hand und senkte sie zugleich. Bisher hatte ich den Boden noch nicht abgeleuchtet, aber ich dachte daran, womit dieses Maul gefüttert worden war.
Da lagen sie.
Hände! Zum Teil noch mit Armstücken daran. Die meisten von ihnen waren mittlerweile verwest und skelettiert. Weißgraue Knochen boten einen schaurigen Anblick. Manche dieser Finger waren noch ausgestreckt, andere wiederum gekrümmt. Das Grauen einer langen Zeitspanne hatte sich hier versammelt.
Die ältesten Hände waren bereits zerfallen. Sie waren zu Staub geworden. Jeder Windstoß hätte ihn wegblasen können.
Ich machte mir nicht die Mühe, die Hände noch zu zählen. Das war auch egal. Ich wollte mehr über die Höhle wissen. Möglicherweise diente sie auch anderen Zwecken, als nur ein Grab für die verdammten Hände zu sein.
Vielleicht war sie sogar bewohnt. Mir fiel Laurin wieder ein und auch sein Zwergenvolk. Es war durchaus möglich, daß ich hier eine Spur entdeckte, aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Zunächst einmal mußte ich die Ausmaße der Höhle feststellen.
Noch wurde das Licht von der Finsternis gefressen, aber in der Höhe war die Höhle begrenzt. Da strahlte ich eine unregelmäßig gewachsene Steindecke an, unter der Felsstücke hingen wie steinerne Tropfen. Eine Spur von Leben, egal, wie es auch aussah, entdeckte ich nicht. Es gab nicht mal Tiere, die sich hier aufhielten und versuchten, dem Licht zu entkommen.
Über den Rückweg machte ich mir keine Sorgen. Das Kreuz würde mir das Maul schon wieder öffnen. Zuvor wollte ich das Rätsel der Höhle lüften. Alle abgehackten Hände lagen noch hier. Bis auf zwei. Sie hatten die Höhle verlassen und waren zu einer grausamen Rachetour aufgebrochen. Ich spekulierte nicht über den Sinn dieser Rache, mir ging ein anderer Grund nicht aus dem Kopf.
Warum hatten sich die Hände der Jessica Malfi selbständig gemacht? War sie eine besondere Frau? Stand sie tatsächlich mit irgendwelchen Mächten in Verbindung, die ihr diese ungewöhnliche Stärke gaben? Davon mußte ich einfach ausgehen, denn normal waren derartige Reaktionen nicht.
Sie war das Motiv!
Und sie war auch da.
Ich sah sie nicht.
Aber aus der Dunkelheit vor mir, aus der höllenschwarzen Finsternis, hörte ich ihr leises, gefährlich klingendes Lachen…
***
Sheila Conolly wartete am Fuß der Stiege, und es ging ihr nicht gut, seit Bill verschwunden war. Es kam ihr so vor, als hätte man ihn einfach von ihrer Seite weggerissen, denn dieses düstere Licht auf dem Dachboden hatte ihn geschluckt.
Sie konnte nichts tun. Sie stand nur einfach da, hielt die Ohren gespitzt und lauschte.
Bill war zu hören. Er ging mit leisen Schritten. Sheila konzentrierte sich darauf, auf die Geräusche und den Bereich, den er absuchte.
Die erste Zeit nach Bills Abtauchen war schlimm gewesen. Sheila hatte mit einem überraschenden Angriff gerechnet, denn wer von ihnen kannte schon diesen Cesare Caprio? Er war für beide ein unbeschriebenes Blatt und konnte durchaus ein gefährlicher Mensch sein, der auf nichts Rücksicht nahm. Nur die allerwenigsten waren dazu fähig, anderen Menschen die Hände abzuhacken.
Er ging noch immer. Sheila hörte die tappenden Schritte. Bill bewegte sich von einer Seite zur anderen, und sie wollte schon zu ihm hochrufen und fragen, ob er etwas entdeckt hatte, als es über ihr still wurde.
Sheila blieb stehen. Sie verkrampfte sich, spürte den kalten Schauer auf dem Rücken. Die Stille gefiel ihr nicht. Sie mußte etwas zu bedeuten haben. Vielleicht hatte Bill etwas entdeckt, was ihm die Sprache verschlagen hatte.
Sie rief nach ihrem Mann, doch es wurde nur ein Flüstern,
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