1011 - Laurins Totenwelt
nicht, daß sie damit meine Worte bestätigen wollte. »Ja, du hast dich schlau gemacht, sehr schlau sogar, aber zuviel Schlauheit oder Wissen kann auch gefährlich und manchmal sogar tödlich sein.«
»Damit mußte ich rechnen.«
Sie reckte ihr Kinn vor. »Warum bist du mit deinen beiden Freunden hergekommen?«
»Man hat uns berichtet, daß es hier zwei würgende Hände gibt, die sich selbständig gemacht haben, nachdem sie einer gewissen Frau abgehackt wurden. Die Hände erwürgten einen Mann. Wie ich weiterhin erfahren konnte, war dieser Mann der Gatte derjenigen Person, der die Hände abgehackt wurden.«
Mein Geständnis hatte die Frau leicht geschockt. »Es – es gab einen Zeugen?«
»Sogar zwei. Sie hatten sich hier in der Umgebung versteckt gehalten.«
»Und weiter?«
»Nun ja, sie blieben in ihrem Versteck, bis alles vorbei war. So sehe ich die Dinge, und ich scheine damit wohl recht gehabt zu haben. Das wirst du zugeben müssen.«
»Ja, das gebe ich zu. Ich gebe auch alles zu. Und ich werde weiterhin den Weg der Rache gehen. Ich und meine Hände. Sie sind nicht hier, ich habe ihnen befohlen, in Pochavio zu bleiben.« Sie kicherte plötzlich los. »Da gibt es noch genug zu tun, kann ich dir sagen.«
Mir ging es plötzlich nicht mehr gut. Ich dachte an meine Freunde und auch an Cesare Caprio, den ich wieder in den Ort zurückgeschickt hatte. Sogar in den Tod?
Das kalte Gefühl blieb auch, als ich die nächste Frage stellte. »Ich kenne die Geschichte um den Mund der Wahrheit. Hier wurden untreuen Frauen die Hände abgehackt, um sie dann durch die steinernen Lippen in diese Höhle hineinfallen zu lassen. Ich habe die Hände gesehen. Knochenklauen oder zu Staub zerfallen, das alles ist mir sehr wohl aufgefallen, aber keine dieser abgeschlagenen Hände hat so reagiert wie deine. Sie sind nicht zu tötenden Instrumenten geworden. Nur deine, Jessica, und das wundert mich.«
»Ich bin eben keine normale Frau, auch wenn ich so aussehe.«
»Aber untreu warst du?«
Sie warf den Kopf zurück und lachte schallend auf. »Ja, ich bin untreu gewesen, und ich gebe es gern zu, denn es hat mir einfach Spaß gemacht. Ich habe mit verschiedenen Männern im Bett gelegen. Es war wunderbar, kann ich dir sagen, denn ich bereue nichts. Aber niemand wußte, auch mein gehörnter Mann nicht, daß ich etwas Besonderes bin.«
»Wie das?« fragte ich.
»Nun ja, er hat mich gefunden. Ich war ein Kind der Natur, des Waldes, der Berge. Ich habe hier gelebt, ich habe mich versteckt, denn ich wollte herausfinden, ob die Legenden, die man sich über Laurin und sein Volk berichtete, der Wahrheit entsprachen. Noch im Kindesalter habe ich mein Elternhaus verlassen und bin in die Natur gelaufen. Ich habe mich von dem ernährt, was sie mir gab. Hin und wieder versteckte ich mich auf den entlegenen Almen bei irgendwelchen einsamen Bergbauern, und ich gab den Männern schon früh genug, was sie wollten. Mein Blut war heiß, manchmal kochte es, aber ich habe mein eigentliches Ziel nicht aus den Augen gelassen. Ich wollte einen Einstieg in Laurins Reich finden, in seinen berühmten Rosengarten, in den echten, nicht in den versteinerten. So gelangte ich in dieses Gebiet hier und lernte auch den Mund der Wahrheit kennen.«
»Warst du da schon mit deinem Mann zusammen?«
»Nein. Aber bald darauf hatte er mich gefunden. Ich saß am Bach. Es war so ähnlich wie bei euch, und ich suchte eine Bleibe in der Nähe des Gesichts. Nur deshalb ließ ich mich von ihm in dieses verdammte Dorf schleppen und heiratete dort. Doch ich lebte weiter wie bisher, denn mein Blut war nicht zu bremsen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann man mich erwischte.«
»Das ist ja dann geschehen«, sagte ich.
»Und ich wurde bestraft.«
»Aber du lebst weiter und deine Hände ebenfalls.«
»Das ist allerdings wahr.«
»Wie konnte es passieren?«
»Laurins Schutz.«
»Wirklich er?«
»Ja, wer sonst? Ich habe den Zugang zu seiner Totenwelt gefunden. Ich in Laurins Totenwelt. Im Jenseits der Zwerge. In der verbotenen Zone habe ich mich aufgehalten, denn diese Höhle hier ist für die Eingeweihten der Zutritt.«
Ich wollte sie provozieren und fragte deshalb: »Das soll ich dir wirklich glauben?«
»Hast du mir bisher nicht auch geglaubt?«
»Ja, das schon. Ich habe dir geglaubt. Ich habe gewisse Dinge auch mit den eigenen Augen gesehen, aber was du mir vorhin erzählt hast, geht mir doch ein wenig zu weit. Finde ich.«
»Ich denke nicht. Alles ist eingetroffen.
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