1029 - Evitas Folterkammer
er es an, wog es auf beiden Händen und legte es dann auf den Rücken.
Behutsam riß er das Klebeband entzwei. Er lauschte dem Knistern des Papiers, nahm die beiden sich überlappenden Seiten zwischen die Finger und hob sie an.
Nichts! Irrtum! Doch, da war etwas. Etwas Helles. Eine dichte Masse. Watte.
Ohne es zu wollen, fing er an zu zittern. Sollte doch ein kleiner Sprengkörper dort eingepackt worden sein? Er dachte daran, wollte es allerdings nicht glauben und war schon irritiert, als er beim weiteren Auspacken die dunklen Flecken inmitten der Watte sah.
Scharf saugte der Abbé die Luft ein. Diese Flecken waren zwar dunkel, aber nicht schwarz. Ihre Farbe zeigte ein bestimmtes Rot, wie es nur Blut hatte.
»Gott, nein!« flüsterte der Templer und trat einen winzigen Schritt nach hinten. Er stützte sich an der Lehne des Schreibtischstuhls ab, schüttelte den Kopf, holte weiterhin durch den offenen Mund Luft und hörte sich stöhnen.
John anrufen. Bescheid geben. Oder weitermachen?
Bloch war den ersten Schritt bereits gegangen. Der zweite sollte und mußte folgen.
Er stellte sich wieder vor den Schreibtisch und tauchte seine Fingerspitzen in die weiche Masse. Dann zupfte er sie auseinander. Er schaltete seine Gedanken dabei ab. Nicht weil er es wollte, er konnte einfach nicht mehr nachdenken, aber er zupfte die Watte automatisch weiter auseinander, um an das Ziel zu gelangen.
Dann lag es vor ihm.
Urplötzlich, als hätte ihm jemand die Arbeit abgenommen. Seine Augen weiteten sich, sein Körper fror innerlich ein, in seinem Kopf hämmerten unzählige Hacken und Spitzen, aber das Bild blieb. Es war nicht zu vertreiben, denn es war echt.
Vor ihm lag ein menschliches Ohr!
***
Es bot einen furchtbaren Anblick. Man hatte es abgeschnitten. Es lag noch in seinem Blut, und der Abbé mußte zunächst damit zurechtkommen, daß er keinen Film erlebte, sondern inmitten der Wirklichkeit seinen Platz hatte.
Ein Ohr.
Das Ohr seines alten Freundes Victor. Eine andere Möglichkeit kam für ihn nicht in Frage.
Er sah es auch nicht mehr als ein normales Ohr an. Für ihn war es mehr ein filigranes Kunstwerk, das jemand in eine makabre Umgebung gelegt hatte. Eine Performance des Schreckens, mit der er nicht zurechtkam. Furchtbar, von einem Augenblick zum anderen war das Grauen in dieses Hotelzimmer gebracht worden. Dieses »Geschenk« hatte ihm bewiesen, wie gnadenlos die andere Seite vorging. Sie kannte kein Pardon und würde bis zum bitteren Ende weitermachen.
Es dauerte eine Weile, bis er die Umgebung wieder normal sah und sich die Einrichtung des Zimmers klärte. Noch immer drückten und stachen die Schmerzen durch seinen Kopf.
Für ihn gab es nur eine Reaktion. Nicht mehr alles allein durchziehen, sondern den beiden Freunden unten Bescheid geben. Alles andere konnte er vergessen.
Der Abbé wollte zum Telefon greifen – und kam sich vor, wie weiterhin beobachtet. Als hätte diese unsichtbare Person seine Reaktionen genau unter Kontrolle. Seine Hand hatte den Hörer noch nicht berührt, als der Apparat anschlug.
Es war ein normales Geräusch. In seinem Zustand empfand der Abbé es als schrilles Lachen. Ihm wurde kalt auf dem Rücken. Ein Eisgespenst schien sich auf seine Haut gelegt zu haben. Im Kopf wirbelten die Gedanken, während sich der Apparat auch weiterhin meldete, als wollte er nie mehr aufhören.
Bloch streckte seinen Arm aus. Das Zittern der Hand konnte er nicht vermeiden. Sein Gesicht zeigte Angst und war zerfurcht.
Endlich überwand er sich und nahm den Hörer ab. Er preßte ihn gegen das schweißnasse Ohr und wurde bei dieser Berührung wieder automatisch an das abgeschnittene erinnert. Zu melden brauchte er sich nicht, das übernahm der Anrufer für ihn.
Nein, kein Anrufer, es war eine Anruferin. Eine weiche, lauernde und widerlich klingende Frauenstimme, die nicht nur seinen Hörsinn erreichte, sondern zugleich durch sein Gehirn sägte.
»Hast du mein Geschenk erhalten, Bloch?«
Der Abbé antwortete automatisch. »Ja, das habe ich…«
»Dann weißt du ja auch, welche Schmerzen dein Freund Victor jetzt erleidet, und es liegt an dir, ob sie noch größer werden oder irgendwann abebben…«
***
Eine Halle wie viele andere auch innerhalb der Hotelkette. Recht angenehm, ohne besonders individuell zu sein, denn viele dieser Hotels sahen gleich aus. Für viele Gäste sehr bequem, so konnten sie sich in allen Kontinenten gut zurechtfinden.
Wir waren auch nicht gekommen, um hier zu wohnen,
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