1031 - Donnas zweites Leben
hatten wir uns genau an der Stelle aufgehalten, wo vor einigen hundert Jahren die beiden so unterschiedlichen Malcolm-Brüder gestorben waren. Hier hatte sich die magische Kraft des Terrence Malcolm über all die Zeiten hinweg halten können. Ich nahm mir schon jetzt vor, diesem Ort noch einen zweiten Besuch abzustatten. Allerdings ohne Donna Preston.
Sie hatte den Ort vor mir verlassen, stand auf der schmalen Uferbefestigung und schaute über das Wasser der Themse hinweg. Sie wirkte dabei in Gedanken versunken. Wahrscheinlich würde sie das Wasser und die darauf fahrenden Schiffe gar nicht sehen.
Auch als ich ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie zum gehen drängte, ging sie nicht darauf ein. »Ich habe Angst«, sagte sie statt dessen.
»Wovor? Es ist vorbei.«
»Ja, für den Moment. Wenn ich ehrlich sein soll, fürchte ich mich vor der Nacht und vor den damit verbundenen Träumen. Ich weiß schon mit Bestimmtheit, daß sie zurückkehren werden. Dieses Monstrum wird sich mir zeigen, da bin ich mir sicher, John.«
»Willst du dann nicht zurück in deine Wohnung?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich könnte dafür sorgen, daß du in einer relativen Sicherheit übernachtest.«
»Hm. Wo wäre das?«
»Bei meinen Freunden. Suko und Shao wohnen bei mir nebenan. Sie haben immer ein Gästebett frei. Ich könnte dich auch bei einer Freundin unterbringen. Sie heißt Jane Collins und ist…«
»Ja, ich kenne den Namen, John. Ich habe viel über dich erfahren können.«
»Das ist gut.«
»Aber soll ich wirklich…?«
»Es liegt einzig und allein an dir. Du wirst deinen Träumen nicht entgehen können, aber es ist immer jemand in der Nähe, der dich beschützen kann.«
»Hört sich ja gut an.«
»Das ist auch gut, denke ich.«
»Wozu rätst du mir?«
»Zu meinem ersten Vorschlag. Ich finde, daß du bei Suko und Shao gut aufgehoben bist.«
Sie drehte sich, lächelte und ließ sich gegen mich fallen. »Danke, John. Es tut gut, wenn man sich auf jemand verlassen kann. Zwar habe ich einen Freund, der zur Zeit für zwei Monate im Ausland arbeitet, aber ihm darf ich von meinen Erlebnissen nichts erzählen. Der würde mir kein Wort glauben.«
»Was man ihm nicht einmal verübeln kann. Für die meisten Menschen sind diese Dinge unverständlich.«
»Ich müßte aber noch Sachen zusammenpacken, um…«
»Nein, Donna, laß das bleiben. Für eine Nacht wird es reichen. Morgen sehen wir weiter.«
»Gut, ich verlasse mich darauf.«
Wir waren mit meinem Wagen gekommen und gingen auch wieder zu ihm zurück. Es war noch nicht spät, gerade mal 22.00 Uhr.
Für viele Nachtschwärmer begann der Abend erst. Ich wußte auch nicht, ob sich Shao und Suko in der Wohnung aufhielten.
Sie waren da. Über Handy erreichte ich sie, und ich hörte Shaos erstaunte Frage. »Was ist denn passiert, daß du jetzt anrufst?«
»Ich habe ein kleines Problem zu lösen, bei dem ihr mir helfen könntet.«
»Wir wollten gerade weg.«
»Biergarten?«
»Ja, etwas im Freien sitzen.«
»Hm. Wo denn?«
Sie lachte. »Willst du mit deinem Problem dorthin kommen und uns besuchen?«
»Du wirst es nicht glauben, aber daran habe ich gedacht.« Ich zwinkerte Donna zu. »Außerdem ist mein kleines Problem sehr hübsch, hat zwei Beine und trägt die Uniform einer Polizistin. Ich denke, daß wir alles weitere im Biergarten bereden können. Wo also können wir euch treffen?«
»In der Treppe.«
»Ah, das Lokal kenne ich. Liegt ziemlich am Wasser.«
»Ja, auf einer kleinen Terrasse.«
»Gut, wir kommen. Haltet zwei Plätze frei, wenn eben möglich.«
»Wir werden es versuchen. Und noch eins, John, dieses kleine Problem, ist es privat oder dienstlich?«
»Leider dienstlich.«
»Na denn«, sagte Shao nur und legte auf…
***
Das Wasser war zu hören und auch zu riechen. Die Wellen klatschten gegen die Ufermauern, und da die Luft leicht drückte, stieg von der Oberfläche ein leichter Gestank in die Höhe. Der Wind wehte ihn auch auf den Biergarten, mit dem treffenden Namen Treppe zu.
Er hieß deshalb so, weil eine Steintreppe zu ihm hochführte. Eine große Terrasse mit Bäumen bewachsen, die tagsüber Schutz vor der allzu grellen Sonne gaben. Das Licht wurde von den großen Ahornblättern gefiltert. Doch jetzt, in der Dunkelheit, schimmerten die Blätter in zahlreichen Farben, denn das bunte Licht der aufgespannten Girlanden huschte darüber hinweg oder malte sie an.
Biergärten waren in den letzten Jahren auch in London wie Pilze aus dem Boden
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