1048 - Blutende Schatten
hast du recht.«
Es war nicht mehr weit bis zu unserem Haus, diesem hohen Kasten, in dem wir wohnten. Es lag noch nicht lange zurück, daß sich eine junge Frau aus einem der oberen Fenster zu Tode gestürzt hatte. Daraus war dann für mich ein Fall geworden, in den auch Jane Collins und Lady Sarah mit hineingezogen worden waren.
Draußen war es dunkel geworden. Noch keine Nacht, aber früher Abend. Lichter schimmerten in den Ausschnitten der Fenster oder warfen als Reklameleuchten ihr buntes Gemisch auf Gehsteige, Straßen und Autos. Unser Haus war ebenfalls zu sehen. Zusammen mit dem Nebenhaus stach es vom Erdboden her in die Höhe, als wollte es mit seiner oberen Etage gegen die tiefhängenden Wolken drücken, die keine geschlossene Front zeigten. Es gab überall große Lücken. Darin schimmerte ein stahlgrauer Himmel, und auch der Mond war zu erkennen.
Blaß und kreisrund stand er da wie eine vergessene Laterne. Schatten durchzogen ihn. Ich dachte an seine Kraft, die sehr groß war und nicht unterschätzt werden durfte. Schließlich waren die Gezeiten auf seinen Einfluß zurückzuführen. Und sein Licht sorgte als Pendant zur Sonne dafür, daß sich manches Wesen der Finsternis sicher und geborgen fühlte. Da brauchte ich nur an die Vampire und Werwölfe zu denken. Für sie war das Mondlicht Balsam und Energiequelle zugleich.
Mit beiden Arten und auch mit anderen Geschöpfen der Finsternis wollte ich an diesem Abend nicht mehr konfrontiert werden. Weg mit dem Beruf, mal für den Abend und die folgende Nacht Privatmann sein. So etwas kam leider selten genug vor.
Wir hatten es geschafft. Rollten auf die Einfahrt der Tiefgarage zu. Das Tor stand offen. Es hatte sich wie ein Vorhang nach oben gerollt, denn vor uns fuhr ebenfalls ein Mieter in den unterirdischen Komplex hinein.
Den Rover stellten wir auf dem reservierten Parkplatz ab, direkt neben Sukos BMW. Wie immer schauten wir uns beim, Aussteigen vorsichtig um, denn die Erfahrung hatte uns gelehrt, daß diese Tiefgarage auch zu einer Falle werden konnte. Nicht nur einmal waren wir attackiert worden.
An diesem Abend passierte nichts. Wir stiegen aus und gingen unbehelligt auf die Tür des Aufzugs zu. Der Mieter, der vor uns die Garage erreicht hatte, spurtete los, weil er mit uns fahren wollte. Er brauchte nur bis zur vierten Etage, wir fuhren sechs Stockwerke höher.
Ich ging nicht erst nach nebenan zu Suko und Shao, sondern ließ sie nur grüßen.
»Mach ich doch glatt.« Suko schlug mir auf die Schulter. »Du bist heute wirklich nicht in Form. Leg dich hin.«
»Mal sehen.«
Ich betrat eine leere Wohnung. Daß ich nicht erwartet wurde, daran hatte ich mich im Laufe der Jahre gewöhnen können. Zwar hielt sich mein Hunger in Grenzen, aber etwas essen mußte ich schon. Deshalb führte mich mein Weg auch in die Küche und zum Kühlschrank.
Shao hatte eingekauft. Das Gefrierfach war voll. Baguettes, einige Pizzen, Fertiggerichte für Singles, darunter konnte ich eine Auswahl treffen.
Für nichts davon entschied ich mich. An diesem Abend wollte ich eine Dose mit Thunfisch leeren.
Dazu Brot essen und eine Flasche Bier trinken. Mal schauen, wie es danach weiterging.
Als Familienvater mit Kindern hätte ich anderes zu Abend gegessen, so aber störte mich niemand, wenn ich beim Essen in die Glotze schaute und die Fernbedienung neben mich legte.
Thunfisch, Bier und Brot - man war ja bescheiden. Ich schaute auf den Bildschirm, sah wieder zuviel Reklame, zappte von Sender zu Sender, blieb bei den Resten der Nachrichten hängen und lauschte der Wetteransage, die für die nächsten Tage einen Kälteschub versprach, dessen Ausläufer schon in der Nacht den Süden Englands erreichten. Schneeregen wurde angesagt, das wiederum zu einem Verkehrschaos führen konnte, weil viele Fahrer dann übervorsichtig fuhren.
Ich schaltete weiter auf den Sportkanal, schaute kurz in ein Hallenfußballspiel hinein und hörte in einer Werbepause den neuesten Nachrichten zu, die sich um Lady Di's Tod drehten. Angeblich hatte man wieder neue Erkenntnisse erhalten. Das interessierte mich weniger.
Ich ging in die Küche. Die leere Dose verschwand im Abfall, und auch in der Bierflasche befand sich nichts mehr. Danach betrat ich das Bad, sah mein Gesicht im Spiegel und erschrak vor mir selbst. Ringe unter den Augen, ein müder Ausdruck, wie bei einem Menschen, der kurz davor steht, sich eine Grippe einzufangen.
Darauf war ich nicht scharf. Ich wollte mit Vitaminstößen dagegen
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