105 - Trank des Verderbens
Schmerz mit Cruv in Zusammenhang. Ja, der Kleine hatte mit seinem Stock nach meiner Hand geschlagen.
Warum hatte er das getan? Wir waren doch Freunde! Ich hatte daraufhin den Colt Diamondback fallen lassen müssen. Ich hatte die Waffe gezogen, weil…
Warum eigentlich?
Gedankenfetzen flogen durch meinen Kopf, von einem wilden Sturm getrieben. Ich konnte nur wenige davon erwischen und festhalten. Greenaway Manor… Janet und Harold Fraser… Albert Greenaway…
Neben Cruv erschien Tucker Peckinpah. Er sah mich sehr besorgt an. »Meine Güte, Tony, was war los mit Ihnen?«
»Was soll mit mir los gewesen sein?«
»Sie wissen es nicht?« fragte Peckinpah ernst.
»Nein.«
»Sie wollten Harold Fraser erschießen«, sagte der Industrielle.
Mir dämmerte es. Wir hatten vor diesem Porträt gestanden, und der Butler hatte mich angegriffen. Das wäre ihm nicht gelungen, wenn Cruv sich nicht eingemischt hätte.
Mir fiel auf, daß wir uns wieder im Salon befanden. Ich war wie Lord Hugh Greenaway die steile Treppe hinuntergekugelt. Der Lord hatte sich dabei das Genick gebrochen. Ich war zum Glück mit blauen Flecken davongekommen. Das mochte zum Großteil daran liegen, daß ich auf solche Stürze trainiert war.
Janet und Harold Fraser befanden sich auch im Raum. Als ich mich vorsichtig aufsetzte, wichen die beiden einen halben Schritt zurück. Sie schienen Angst vor mir zu haben.
Ich kniff die Augen zusammen, starrte den Butler durchdringend an und fragte ihn scharf: »Warum haben Sie mich angegriffen?«
Der Mann sah mich entgeistert an. »Was soll ich getan haben?«
»Er veränderte sein Aussehen, hatte rote Augen…«, sagte ich zu Tucker Peckinpah.
»Sie müssen eine Wahnvorstellung gehabt haben, Tony«, sagte der Industrielle.
»Und seine Schwester hatte auch diese roten Augen!« behauptete ich.
»Das hätte uns auffallen müssen«, sagte Peckinpah.
»Und der Dritte im Bunde war Albert Greenaway!« fuhr ich fort.
»Tony!« sagte Peckinpah eindringlich, »Tony, kommen Sie zu sich! Sie hatten eine schreckliche Halluzination. Niemandes Augen waren rot. Der Butler hat sich nicht verändert. Er hat Sie auch nicht angegriffen. Das bildeten Sie sich alles ein! Es passierte nur in Ihrer Phantasie!«
Es ging mir schon etwas besser. Ich stand auf, schwankte einen Moment, aber dann pendelte sich mein Gleichgewichtssinn ein. Ein Drink, den mir Cruv brachte, drängte die Nachwirkungen des Sturzes weitgehend zurück.
Hatte ich mir wirklich alles nur eingebildet? Ich hatte gesehen, wie Janet Fraser und ihr Bruder heimlich Blicke tauschten. Einbildung? War es auch Einbildung gewesen, daß sie uns eine Lügengeschichte erzählten?
Bevor Lord Hugh Greenaway zu Tode stürzte, hatte er sich angeblich wie ein Verrückter benommen.
Dasselbe hatte sich mit mir wiederholt!
Wodurch konnte diese überaus realistische Wahnvorstellung ausgelöst worden sein? Cruv und Tucker Peckinpah erzählten mir haargenau, wie ich mich verhalten hatte.
Ich war wirklich nicht bei Sinnen gewesen. Irgend etwas hatte mich veranlaßt, Dinge zu sehen, die in Wirklichkeit nicht existent gewesen waren.
Genauso mußte es Lord Greenaway ergangen sein. Er hatte leider nicht soviel Glück gehabt wie ich.
Cruv gab mir meinen Colt Diamondback. Harold Fraser sah das nicht gern. Er befürchtete anscheinend, ich könnte immer noch die Absicht haben, ihn zu töten.
Um ihm die Angst zu nehmen, schob ich den Revolver in die Schulterhalfter. Er entspannte sich. Ich begab mich zu ihm und streckte ihm die Hand entgegen.
»Leider kann ich nicht mehr sagen als: Es tut mir aufrichtig leid.«
Der Butler zögerte einen Moment. Dann schlug er ein. »Wir wollen es vergessen, Mr. Ballard.«
»Es ist zum Glück ja nichts passiert«, bemerkte Cruv.
»Was mag mich veranlaßt haben, durchzudrehen?« überlegte ich laut.
»Der gleichen Ursache fiel Lord Greenaway zum Opfer«, sagte Tucker Peckinpah.
»Bin ganz Ihrer Meinung, Partner«, sagte ich. »Aber was war es?«
***
Esther Suzman schlief tief und traumlos. Jemand schellte an der Haustür, und die junge Frau erwachte. Ihr Puls flatterte einen Moment, dann beruhigte sie sich.
Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Mitternacht mußte längst vorbei sein. Jemanden um diese Zeit zu wecken, war eine große Frechheit.
Oder man hatte dafür einen sehr triftigen Grund.
Wieder wurde geläutet. Esther lauschte in der Dunkelheit. Es war so still im Haus, daß die Frau annehmen mußte, allein daheim zu sein. Dave war
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