1059 - Der Scharfrichter
sehen.«
»Ja«, flüsterte McMillan, »das werde ich. Klar, das werde ich ihm alles sagen.«
Ich holte Geld hervor und legte es auf den Tisch. Danach stand ich auf. Ich ging zur Tür und ließ hinter mir eine Wand des Schweigens zurück, die sicherlich nicht mehr lange Bestand hatte, dafür würde der Wirt schon sorgen.
Aber das war mir egal. Ich richtete mich auf die zweite Begegnung mit dem Scharfrichter ein. Wenn es nach mir ging, sollte es auch die letzte sein…
***
Zwar kannte ich mich in Mayne nicht aus, aber der Ort war nicht so groß, als daß man sich auskennen mußte, um ein bestimmtes Ziel zu finden, wie eben den Weiher.
Ich hatte gefragt. Mir war bedeutet worden, dorthin zu fahren, wo auch die Felder begannen. Dabei hatte mich der Informant sehr bedeutungsvoll angeschaut. Beinahe auch bedauernd.
Eine Erläuterung hatte er nicht hinzugefügt.
Beliebt schien der Ort nicht zu sein. Eine sumpfige Gegend, für Felder nicht geeignet, denn die lagen zur anderen Seite hin. Auf diesem flachen Gelände zeichneten sich die Umrisse einiger Scheunen oder Ställe ab, die ich selbst aus einer gewissen Entfernung sehen konnte. Da erinnerten sie mich an braune Klumpen.
Noch war es recht hell. Die Dämmerung würde sich ein wenig Zeit lassen, was mir natürlich sehr entgegenkam. Ich fuhr ohne Licht durch einen Ort, der in eine gewisse Ruhe eingebettet lag.
Am Ortsrand gab es weniger Häuser. Die freien Flächen dazwischen nahmen zu. Hin und wieder sah ich einen Zaun, dessen Latten wie starre, faulige Arme in die Höhe ragten. Mal huschte mir eine Katze über den Weg, hin und wieder hörte ich das Bellen eines Hundes, und nur einmal mußte ich einem Auto ausweichen.
Der Boden wurde weicher, aber nicht sumpfig. Die Reifen fanden noch Halt, das Fahrzeug rutschte nicht weg, und vor mir glaubte ich, mein Ziel zu erkennen.
Den Weiher selbst sah ich nicht, aber es waren die Bäume, die mich aufmerksam werden ließen. Trauerweiden standen in einer Gruppe, und ihre Kronen besaßen Rundungen wie mächtige aus dem Boden wachsende Pilze.
Auf dem normalen Weg konnte ich nicht bleiben, denn er führte in die Felder hinein. Ich mußte mich rechts halten, um den Weiher zu erreichen. Diesmal gab es keinen Weg. Nicht einmal Reifenspuren hatten sich in das Gras gedrückt. So rumpelte ich über den unebenen Boden hinweg, hielt das Lenkrad ziemlich fest, merkte, wie der Boden an Widerstand verlor und bezweifelte, daß ich bis zum Ziel fahren konnte.
Hier hatte sich seit 100 Jahren nichts verändert. Es war eine Farce, was die Menschen aus Mayne getan hatte. Einem Scharfrichter das Land zu übergeben, mit dem er nichts anfangen konnte. Eine alte Hütte bauen, sich dort hineinsetzen und nichts tun. Er hätte den Boden kultivieren müssen. Er hätte dafür Geld gebraucht, doch die Henker damals waren arm gewesen.
Krankes Vieh hatte man ihnen überlassen. Sie konnten es schlachten, sie konnten davon essen, aber es hatte ihnen bestimmt nicht gutgetan. Da hatten sich Krankheiten übertragen können, und bestimmt waren etliche Scharfrichter eines bitteren Todes gestorben, falls man sie nicht schon vorher umgebracht hatte, was auch öfter passiert war, wenn die Henker zu alt geworden waren.
Die Reifen des Rover griffen, aber sie griffen auch tief. Zu tief. Ich konnte es nicht mehr riskieren, weiterzufahren und hielt dort an, wo karges Gestrüpp wuchs.
Ich stieg aus und trat hinein in eine spätnachmittägliche Stille.
Die normale Welt schien weit von mir entfernt zu sein. Ich stand allein inmitten der Natur, sah dem Tanzen der Mücken zu und hörte von irgendwoher leises Glockenläuten. Sicherlich von der Kirche eines Nachbarortes. Der Schall trug hier weit.
Zu den Weiden war es nicht mehr weit. Ich sah auch den Weiher.
Er lag zwischen ihnen. Sie umstanden ihn wie traurige Wächter.
Einige ihrer langen Arme pendelten mit ihren Spitzen dicht über der grünlich-schwarzen Wasserfläche, die sich nur leicht bewegte, weil kaum Wind zu spüren war.
Was das hier die Heimat des Scharfrichters gewesen und auch wieder geworden?
Es konnte sein, mußte aber nicht zutreffen. Mit Logik kam ich nicht weit. Nicht bei einem Job, wie ich ihn hatte. Den durfte man nicht wissenschaftlich betrachten. Man mußte die Dinge einfach so hinnehmen wie sie waren. Selbst durch Hinterfragen war ich oft genug nicht an die Lösung herangekommen. Für mich kam es darauf an, die richtige Lösung zu finden und zu einem Ergebnis zu kommen.
Die Luft war feucht.
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