1141 - Die Königin von Avalon
getan und konnte nur hoffen, dass es seinem Freund John ebenso ergangen war.
Bei diesem Gedanken drehte er sich um, weil er nach vorn in Richtung Altar gehen wollte…
***
So also sah das Ende aus!
Erwischt von einer verdammten Messerklinge, die tief in meinem Körper steckte und mir das Leben raubte.
Ich bekam alles genau mit. Der Weg der schwarzen langen Klinge durch meinen Körper war genau zu spüren, als hätte mir ein Arzt eine Spritze zu tief gesetzt und sehr weit in den Körper hineingepresst.
Wo waren die Schmerzen? Wo war das Blut, das sich aus der Wunde drückte? Wann spürte ich, wie Muskeln, Sehnen und Gewebe zerrissen wurden? Wann würde ich schreien, in die Knie sacken und dann in der Todesschwärze versinken?
Es trat nicht ein.
Es gab kein Blut. Da war auch nichts, was mich dem Tod um einen Schritt näher brachte. Die Klinge hatte mich getroffen, dennoch schien es ein anderer Körper gewesen zu sein.
Nicht nur ich erlebte die Überraschung, dem X-Ray erging es ebenso. Seine Augen weiteten sich, und die rechte Hand drückte das Messer noch tiefer in meinen Körper, was auch nichts änderte, denn ich blieb völlig unverletzt.
Wir standen uns Auge in Auge gegenüber. Jeder suchte in den Blicken des anderen etwas zu finden.
Ich merkte genau, dass trotz des Messers im Körper so etwas wie ein Strom der Kraft durch meine Adern rieselte. Er schaffte das Gefühl der Angst weg und löste es durch das des Vertrauens ab.
Ich ging einen Schritt zurück, dann noch einen. Diese Bewegungen waren nicht geplant gewesen. Es geschah aus einem Automatismus heraus, und dabei hielt ich den Blick gesenkt und sah, wie die Klinge des Messers aus meinem Körper herausglitt. Meine Augen weiteten sich noch stärker. Normalerweise hätte sie mit einem Blutfilm bedeckt sein müssen, was hier nicht der Fall war. Sie zeigte keine Veränderung und nicht einmal Nässe. Der Stahl war ebenso trocken wie sonst.
Ich hätte jetzt die Chance gehabt, den anderen zu überwältigen und ein für allemal auszuschalten.
Aber der Schock saß zu tief. Das Neue machte mich regelrecht fertig. Ich träumte nicht, ich war tatsächlich unverletzbar geworden, und so war für mich ein Traum in Erfüllung gegangen, dem die meisten Menschen nachhingen.
Genau das konnte der X-Ray nicht fassen. Er wusste nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Auf mich oder auf das Messer. Wenn er zu einem Entschluss gelangt war, würde er einen zweiten Versuch unternehmen, das stand für mich fest.
»Ich habe einmal versagt«, summten die Worte durch meinen Kopf. »Ich habe Johanna nicht beschützt, als die Flammen nach ihr griffen, obwohl sie auf mich vertraut hat. Jetzt aber habe ich einen Teil dessen wieder gutmachen können, denn das Böse darf nicht auch noch gegen dich gewinnen. Ich habe dir für einen Moment meine Kraft gegeben, denn du bist der Sohn des Lichts und zugleich der Träger des Kreuzes, das auch mit meinem Namen versehen ist. Aber es ist eine Ausnahme, und es wird auch eine Ausnahme bleiben, John Sinclair…«
Ich war nicht in der Lage, zu reagieren. Diese hohe sirrende Stimme gehörte dem Erzengel. Er wollte nicht, dass ich unterging und mein Leben hier beendete. Es belastete ihn, dass aufgrund seines Nichteingreifens die Heilige Johanna den Tod durch die Flammen erlitten hatte, und nun hatte ich davon profitiert.
Vor meinem Gedächtnis hing ein Vorhang. Ebenso vor dem Bewußtsein. Unter großen Schwierigkeiten brachte ich ein »Danke« hervor und hörte das Lachen des Erzengels wie Glockenklang in meinem Kopf.
»Lass es gut sein, John. Er wird dir nichts mehr tun. Du hast das Kreuz, du bist der Erbe…«
Dann zeigte er mir, wozu er fähig war. Vom Ende des langen Balkens bahnte sich ein Lichtstrahl seinen Weg auf die Gestalt zu. Sie traf den Verräter im Gesicht, und der X-Ray hatte nicht die Spur einer Chance, obwohl die Macht des Baphomet auf seiner Seite stand.
Das Gesicht verglühte innerhalb kürzester Zeit zu einer Wolke aus glänzendem Staub. Plötzlich schwebte sie dort, wo sich normalerweise der Kopf befindet. Es war nichts zu hören. Keine Schreie, kein Stöhnen, der Mann starb auf der Stelle, und sein Körper löste sich dabei einfach auf. Da blieb nichts zurück. Keine Knochen, keine Asche, nicht einmal die winzigsten Staubteilchen. Die Kraft des Erzengels hatte ganze Arbeit geleistet und den Feind regelrecht atomisiert.
Michael meldete sich noch einmal. Vielleicht war mein Kreuz sogar so etwas wie ein Verstärker, der
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