1170 - Baphomets Beute
herankommen. Ich ging auch nicht weg. Allerdings hätte ich mit meiner Leuchte durch die Scheibe strahlen können, um noch mehr zu erkennen, aber das wollte ich gar nicht. Das »Kind« sollte so bleiben.
Der Anblick war einfach ungeheuerlich und abstoßend.
Der Körper war gedrungen, fast viereckig. Ein großer Kopf hockte darauf. Auf dem Gesicht verteilten sich die dünnen, aber dicht wachsenden Haare, in denen kleine Löcher zu sehen waren. Darin leuchtete es weißgelb - die Augen.
Gab es einen Mund?
Nein, das war schon ein Maul. Wie ein Schnitt malte es sich in der unteren Gesichtshälfte ab. Das Maul war nicht geschlossen, ich sah auch keine Lippen, dafür aber Zähne. Die Dinger schimmerten heller, und sie kamen mir vor wie die Spitzen eines Kamms.
Zu lange Arme. Zu lange Hände, Gedrungene Beine, leicht eingeknickt. Zehen mit schwarzen Krallen, die immer zuckten, und auch an den Fingern entdeckte ich sie.
Ein Mensch hatte dieses Wesen tatsächlich geboren, und das wollte mir noch immer nicht in den Kopf. Es war einfach verrückt. Ich fragte mich, wie sich Julia Coleman - die Mutter - während ihrer Schwangerschaft gefühlt haben musste.
Sie hatte es nicht gewusst. Nicht wissen können. Erst jetzt musste sie der Schock erwischt haben.
Von ihr jedenfalls war nichts zu hören. Sie lag noch immer im Sessel, dessen Fußende ausgefahren war, und nicht das leiseste Geräusch drang aus ihrem Mund.
Dora hatte ihren Spaß. Sie freute sich darüber, wie entsetzt ich war. Sie drückte das Kind noch weiter nach vorn, bis es die Innenseite der Scheibe erreichte und gegen das Glas gepresst wurde. Der Druck veränderte auch das Gesicht. Es wurde in die Breite gepresst. Spätestens jetzt hätte ich einen Laut hören müssen, wenn auch ein derartiges Wesen Schmerz empfand.
Ich hörte nichts.
Alles blieb still, und ich konnte auf meinen eigenen Atem achten, der gegen die Scheibe schlug. Ich schaute nach, ob es am Rücken einen Schwanz aufwies, so wie man oft den Teufel dargestellt hatte, aber da war nichts zu erkennen. Der Anblick dieses kleinen pelzigen Monsters reichte mir auch so.
Ich fragte mich, was man mit diesem verdammten Wesen wohl vorhatte. Mir wollte nicht in den Kopf, dass es geboren war, um hier im Knast zu bleiben. Welche Kräfte auch immer hinter der Wärterin standen, sie hatte bestimmt etwas anderes mit diesem Balg vor.
Dora zog das Wesen wieder zurück. Auch sie blieb nicht mehr in unmittelbarer Nähe der Scheibe.
Sie wollte einen besseren Sichtwinkel haben, wenn sie mit mir kommunizierte.
So zumindest hatte ich es mir ausgerechnet. Nichts blieb stehen. Es ging immer weiter. Jeder noch so kleine Vorgang war der Teil eines Gesamten, und auch ich sah nicht mehr ein, nur inaktiv zu blieben. Okay, ich war eine gewisse Zeit bewusstlos gewesen, auch jetzt ging es mir alles andere als prächtig, aber völlig inaktiv wollte ich auch nicht sein. Ich besaß noch mein Kreuz. Das hatte Dora nicht interessiert. Es war auch möglich, dass sie es nicht entdeckt hatte. Ich war gespannt, wie das Wesen mit den kalten Augen wohl reagierte, wenn ich ihm das Kreuz präsentierte.
Noch ließ ich mir damit Zeit. Was vor mir ablief, erinnerte mich an eine Pantomime, denn es wurde bei all den Vorgängen kein Wort gesprochen.
Ich konzentrierte mich wieder auf Dora, die einige Schritte von der Scheibe zurückgetreten war und sich wieder so gedreht hatte, dass ich ihr Profil sah.
Sie senkte ihre Arme. Gleichzeitig bückte sie sich dem Boden entgegen, um das Wesen dort abzusetzen. Sie tat es beinahe mit einer fürsorglichen Hingabe, und wenn mich nicht alles täuschte, lag sogar ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
Der haarige Balg blieb hocken. Als hätte die Wärterin kurzerhand eine Puppe abgesetzt.
Ich wusste nicht, was das bedeuten sollte, konnte mir allerdings vorstellen, dass ich das Ende dieses Schauspiels noch nicht erlebt hatte.
Dora trat zurück. Mich schaute sie nicht mehr an. Sie ging von dem Wesen weg und bewegte sich langsam durch den großen Raum, immer in den Lücken zwischen den Kerzen.
Neben dem Sessel blieb sie stehen. Senkte den Blick. Starrte in das Gesicht der reglosen Julia Coleman.
Aber sie tat nichts. Keine Berührung. Kein Streicheln. Sie blieb ruhig und irgendwie eiskalt. Auch ihre Lippen bewegten sich nicht. Sie sprach Julia nicht an, die sich für ihre Umgebung überhaupt nicht interessierte. Sie lag einfach nur da und war völlig apathisch. Für mich allerdings war es wichtig, dass Julia noch
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