12 Stunden Angst
Zukunft so grundlegend und unausweichlich änderte wie die von Warren – ein unheilbarer Hirntumor.
»Okay«, sagte Danny schließlich. »Genau diese Meinung habe ich im Kampfgebiet schon oft gehört, sehr lebendig ausgedrückt. Doch die Sache ist die … selbst wenn Sie recht haben, bedeutet das nicht, dass Ihre Entscheidungen keine Konsequenzen hätten. Im Gegenteil, wenn Sie die Welt so sehen, müssen Sie noch vorsichtiger sein mit dem, was Sie tun. Weil es keine göttliche Macht gibt, die am Ende die Waagschale ausbalanciert. Verstehen Sie? Sie müssen es selbst tun. Zumindest so viel, wie in Ihrer Macht steht.«
Laurel erhaschte einen Blick auf Warrens Gesicht hinter dem Monitor. Er nickte. »Genau das tue ich jetzt gerade, Danny. Die Waagschale ausgleichen.«
»Wie denn?«
»Sie glauben, ich lasse meine Kinder bei ihr zurück? Kinder aufzuziehen ist eine heilige Aufgabe. Ich kann sie ihr nicht mehr anvertrauen.«
Angst und Scham fraßen sich durch Laurels Schock.
»Welche andere Option haben Sie denn?«, fragte Danny.
»Genau darüber denke ich nach.«
»Warum verraten Sie mir nicht, was Sie denken?«
Eine neuerliche Pause. Dann: »Ich glaube nicht, dass Sie es verstehen würden. Sie betrachten die Dinge immer noch auf die alte Weise.«
Laurel hatte noch nie eine solch hoffnungslose Stimme gehört. Warrens Leben im vergangenen Jahr war eine kräftezehrende Rund-um-die-Uhr-Aufführung für sie und die Kinder gewesen. Geschauspielertes Wohlbefinden.
»Vielleicht kann ich Sie da überraschen«, widersprach Danny.»Sie möchten über Willkür reden? Über die Ungerechtigkeit des Schicksals? Ich habe viele Männer, die gerade mal zwanzig waren, sinnlos sterben sehen. Aus heiterem Himmel erschossen oder von Granaten zerfetzt, manchmal von den eigenen Leuten. Ich habe sie hinten in meinem Chopper schreien hören, ohne Hoffnung, rechtzeitig ein Feldhospital zu erreichen. Sie haben nicht zu Gott geschrien, Warren. Sie haben auch nicht nach ihrem Daddy geschrien. Sie haben nach ihrer Mutter gerufen. Weil sie wussten, dass ihre Mutter sie mehr geliebt hat als irgendjemand sonst. Mehr als Gott, falls es überhaupt einen gibt. Hören Sie, was ich sage, Warren? Es ist mir egal, wie sehr Sie Grant und Beth lieben, aber wenn es hart auf hart geht, rufen sie nach ihrer Mama. Und es geht hart auf hart, kapiert? Ihr Daddy wird sterben. Glauben Sie mir, Ihre Kinder in der Obhut von jemand anderem als ihrer Mutter zu lassen ist das Letzte, was Sie wollen. Es ist mir egal, wie wütend Sie sind. Es ist mir scheißegal, was sie Ihnen angetan hat, und für Ihre Kinder spielt es erst recht keine Rolle. Ich weiß, es gefällt Ihnen nicht, das zu hören, Warren. Das ist starker Tobak, aber so ist es mit der Liebe. Dagegen sieht das Schlachtfeld wie ein sicherer Hafen aus.«
»Ich nehme es zur Kenntnis«, sagte Warren leise. »Aber es kommt nicht bei mir an. Ich kann es Ihnen nicht erklären. Es kommt einfach nicht an.«
»Versuchen Sie’s trotzdem.«
Laurel sah Warren im Sessel zurücksinken. Seine Augen blieben hinter dem Monitor verborgen. Sie fragte sich, ob Danny log und ob sich in diesem Moment bewaffnete Polizisten darauf vorbereiteten, das Haus zu stürmen. Sie versuchte sich bereitzuhalten. Ihre erste Bewegung würde Beth gelten, doch sie bezweifelte, dass sie mit ihren gefesselten Knöcheln weit kommen würde.
»Als kleiner Junge hatte ich einen Hund«, sagte Warren. »Habe ich Ihnen schon mal davon erzählt?«
»Ich glaube nicht.«
Laurel erinnerte sich schwach, dass Warren davon erzählthatte, doch er war nicht ins Detail gegangen, hatte es nur ganz kurz angesprochen an dem Tag, an dem er sich einverstanden erklärt hatte, den Kindern die Hündin Christy als Spielkameradin zu kaufen. Weder davor noch danach hatte er seinen Hund jemals wieder erwähnt.
»Er war bloß ein Straßenköter«, sagte Warren leise. »Ich habe ihn draußen in den Sträuchern gefunden. Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte ihn mit Abflussreiniger übergossen. Ich nahm ihn mit nach Hause und wusch das Zeug ab. Ich nannte ihn Sam. Wir waren unzertrennlich. Er war mein bester Freund. Mein Dad mochte ihn nicht, aber er hat ihn toleriert. Wie dem auch sei, ein paar Jahre später hatten wir ein schlimmes Unwetter. Der Entwässerungskanal verlief direkt hinter unserem Haus. Ein offener Graben, ungefähr anderthalb Meter tief. Bei starkem Regen wurde er zu einem reißenden Wildwasser. Anderthalb Meter Wasser rauschten durch diesen Kanal wie
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