12 Stunden Angst
auch gewesen sein mochte, es war sehr gut möglich, dass jemand – aller Wahrscheinlichkeit nach Kyle Auster – etwas im Haus versteckt hatte, das viel schlimmer war als Dannys Brief und noch immer darauf wartete, entdeckt zu werden. Und dieser Gegenstand hatte vermutlich nichts mit Dannys Brief zu tun, weil die Person, die den Gegenstand versteckt hatte, nichts von dem Brief hatte wissen können. Ein Stück Unterwäsche oder ein benutztes Kondom würden ihr nicht weiterhelfen, doch ein zweiter Brief in einer anderen Handschrift – der darüber hinaus ein anderes Szenario umriss – würde Warren möglicherweise dazu bringen, ihrer Theorie Glauben zu schenken. Es war jedenfalls weniger riskant, in diese Richtung zu argumentieren, als Warren weiterhin ungestört auf der Festplatte des Notebooks schnüffeln zu lassen.
»Warren?«, sagte Laurel. »Wir müssen reden.«
Er blickte auf; dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den kleinen Bildschirm.
»Ich habe eine Ahnung, was hier in Wirklichkeit vor sich geht.«
Keine Antwort.
»Ich weiß, wer dir dieses Hirngespinst eingeimpft hat.«
Warren sah aus, als wäre er in seinem Sessel erstarrt.
»Was ist?«, fragte Laurel, während Panik in ihr aufstieg.
»Schau mal einer an«, murmelte er. »Was haben wir denn hier? Einen versteckten Ordner im Systemordner von Windows. Ein Ordner mit Namen ROPN. Hast du irgendeine Idee, was das sein könnte?«
Ihr Magen verkrampfte sich. »Sieh doch nach«, sagte sie trotzig.
Warren starrte sie sekundenlang an, bevor er auf den Ordner klickte. Sie wusste nicht, was er zu finden erwartet hatte, doch seine Augen weiteten sich, als er durch die Bilder und Videoclips scrollte, die sie in diesem Ordner gespeichert hatte.
»Woher hast du dieses Zeug?«, fragte er ohne aufzublicken.
»Aus dem Internet.«
»Hast du Geld dafür bezahlt?«
»Nein. Ich habe es von Limewire heruntergeladen. Und es ist nicht versteckt. Ich habe den Ordner bloß unsichtbar gemacht, damit Grant oder Beth nicht darüber stolpern, wenn sie an meinen Computer gehen. Noch ein Jahr, und Grant weiß, wie er unsichtbare Ordner sichtbar machen kann.«
Warrens Blicke huschten nach links und rechts – wahrscheinlich überflog er die Vorschaubilder ihrer freizügigen Videoclips. Er biss sich auf die Oberlippe und blickte wütend und verunsichert drein. »Warum hast du mir nie gesagt, dass du dir so etwas anschaust?«
»Weiß ich auch nicht. Ich dachte, es würde dich nicht interessieren.«
Er schnaubte. »Das stimmt nicht, und das weißt du genau.«
»Ich dachte, es würde dir nicht gefallen, wenn ich mir solche Dinge alleine anschaue.«
Seine Blicke blieben unverwandt auf den Schirm gerichtet. »Und warum siehst du dir alleine Pornos an?«
»Warum siehst du dir alleine Pornos an?«
Er zuckte die Schultern, als wäre die Antwort offensichtlich. »Das ist etwas anderes.«
»Inwiefern?«
»Ich bin ein Mann.«
»Und?«
»Ich benutze sie zum Masturbieren.«
»Ich verstehe.« Sie wartete ein paar Sekunden, bevor sie fortfuhr. »Und was glaubst du, wozu ich sie benutze?«
Seine Augen weiteten sich noch mehr. »Ist das dein Ernst?«
»Was sollte ich sonst damit anfangen?«
»Wie lange machst du das schon?«, fragte Warren.
»Seit es kein Problem mehr ist, sich diese Videoclips online zu beschaffen.«
»So lange bist du also schon unbefriedigt?«
Natürlich bin ich das, verdammt noch mal!, antwortete sie stumm. Und du hättest es längst wissen können, lange bevor du meine geheime Pornosammlung entdeckt hast. Du hättest es gewusst, wenn du mir auch nur ein bisschen Aufmerksamkeit geschenkt hättest.
»Hast du nicht schon immer masturbiert?«, fragte sie stattdessen angesichts des Revolvers und Warrens psychischer Verfassung.
Er nickte steif.
»Dann warst du all die Jahre nicht zufrieden mit unserem Sex?«
»Doch. Aber ich bin ein Mann.«
»Herrgott, Warren!«
»Ich meine … natürlich hätte ich es gerne öfter gehabt. Ich dachte nur … ich hatte nicht das Gefühl, als hättest du es ebenfalls gewollt. Deshalb habe ich nie darauf gedrängt.«
Laurel war nicht sicher, wie sie reagieren sollte. In den vergangenen drei oder vier Monaten hatte Warren sie kaum angerührt, doch er redete, als hätte es diese sexuelle Dürreperiode niemals gegeben. Laurel beschloss, ein Risiko einzugehen. Es war nicht ungefährlich, doch wenn sie nur den Fußabtreter spielte und sich widerspruchslos in alles fügte, was er sagte, würde er ihr erst recht
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