12 - Tod Bei Vollmond
vorgeworfen wird, haben wir die Umstände der Tat in Betracht gezogen. Im Cairde -Gesetzestext steht, wie ich schon den beiden Tatgeständigen erklärt habe, daß es gestattet ist, jemanden aus Notwehr zu töten. Und in dem Text heißt es klar und deutlich, daß jede Art von Verletzung des Angreifenden nicht verfolgt wird. Bébháil wurde in einen Zustand getrieben, in dem sie nicht in vollem Umfang für ihre Taten verantwortlich gemacht werden kann, und in diesem Zustand hat sie Lesren getötet. Was die Tat selbst betrifft, so wird das Gericht sie nicht ahnden. Doch«, fuhr Fidelma rasch fort, denn in der Halle erhob sich lautes Gemurmel, »für das verspätete Geständnis erheben wir eine minimale Geldstrafe, denn dadurch wurden unsere Untersuchungen auf gefährliche Weise behindert. Dafür muß Bébháil ihrem Fürsten zwei screpall zahlen.«
Bébháil weinte, doch durch die Tränen schimmerte ein Lächeln. Eine Gerberwitwe konnte diese Geldstrafe leicht aufbringen; auch ihre Verwandten waren zufrieden. Fidelma bat um Ruhe.
Dann wandte sie sich an Tómma, der ganz offensichtlich überrascht war über Bébháils geringes Strafmaß.
»Tómma, ich fürchte, daß von den Vergehen, über die heute hier geurteilt wird, deines schwerer wiegt. Ich habe dir bereits erklärt, daß eine Falschaussage von Gott nicht verziehen wird. Hier gilt nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Für deine Falschaussage hast du die Konsequenzen zu tragen.«
Jetzt umklammerte Bébháil die Hand ihres Gefährten und blickte mit ihrem verheulten Gesicht Fidelma an. »Aber er hat es um meinetwillen getan, um mich zu beschützen, Lady. Er hat für mich gelogen. Kannst du nicht Gnade walten lassen … Kannst du nicht …«
Fidelma betrachtete sie kühl, so daß sie schließlich schwieg.
»Das Gesetz kennt keine Rechtfertigung für Lügen«, erwiderte sie entschlossen. »Doch als Richter und Auslegende des Rechts haben wir auch die Tatumstände in Betracht gezogen, so ist es unsere Pflicht. Dennoch verlangt das Gesetz einen Preis für falsche Rede.«
Tómma tätschelte beruhigend Bébháils Hand.
»Ich bin bereit, meine Strafe anzunehmen, Lady.«
»Du wirst für ein Jahr und einen Tag deinen Sühnepreis verlieren. Als Pfand dafür wirst du eine Geldstrafe in Höhe deines Sühnepreises leisten.«
In der Halle herrschte eisiges Schweigen, die Anwesenden versuchten sich klarzumachen, was dieses Urteil bedeutete. Fidelma lächelte düster in die erstaunten Gesichter.
»Tómma, ich nehme an, daß du zu jenen gehörst, die kein Land besitzen, das ihnen von ihren Vorfahren vererbt wurde. Du gehörst zu den Fer Midbad. «
Langsam nickte der Gerber.
»Und das bist du schon seit vierzehn Jahren, nicht wahr?«
»So ist es.«
»Dann entspricht dein Sühnepreis gemäß dem Gesetz dem Wert einer einjährigen Kuh, das sind umgerechnet vier screpall . Kannst du diese Summe zahlen?«
Tómma mußte schlucken, so erleichtert war er auf einmal. »Das kann ich, Lady.«
»In einem Jahr wird dir dein Sühnepreis wieder zurückgegeben, vorausgesetzt, daß du nicht noch einmal gegen das Gesetz verstoßen hast.«
Unter jenen, die Lesren nicht hatten leiden können und Mitgefühl mit Bébháil empfanden, wurden leise Sympathiebekundungen laut. Die Familienangehörigen lehnten sich vor und gratulierten beiden. Niemand meinte, das Urteil sei zu streng ausgefallen. Und niemand nahm Rücksicht auf Accobrán, der Ruhe verlangte. Becc blickte zu Fidelma, lachte und zuckte mit den Schultern.
»So können alle erst einmal aufatmen«, meinte Fidelma und stand auf. »In ihrer Erleichterung haben sie ganz vergessen, daß wir noch drei Morde aufklären müssen.«
Am nächsten Morgen machten Fidelma und Eadulf am Rand des Hügels halt, um den Pferden eine Pause zu gönnen. Sie blickten auf die Straße hinab, an der die Hütte des Jägers stand.
Eadulf war ein wenig verärgert darüber, daß alle seine Bemühungen, Fidelma zu einem Schluck Johanniskrauttee zu überreden, gescheitert waren. Sie hatte gemeint, er solle das Zeug weggießen, nichts könne sie dazu bringen, es zu kosten. »Pure Zeitverschwendung«, hatte sie mürrisch erklärt.
»Ich habe noch nie erlebt, daß du dich in einem Fall allein auf dein Gefühl und nicht auf logische Schlußfolgerungen aus bewiesenen Fakten verlassen hast«, meinte Eadulf jetzt verstimmt. »Allerdings sind es ja meist Dinge, die mir entgangen sind, aus denen du deine Schlußfolgerungen ziehst.«
Fidelma schüttelte
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