1209 - Die Pest-Gitarre
hatten eine Flüssigkeit entlassen.
Dann sahen wir die Hände.
Sie hob sie an, als wollte sie sie uns auf eine besondere Art und Weise präsentieren.
Zuerst die rechte Hand! Finger? Ja und nein. Es gab die Finger nur zur Hälfte. Die Spitzen und der obere Teil waren verschwunden.
Als sie die linke Hand ausstreckte, da waren die Finger noch vorhanden, doch als sie die Hand schüttelte, brach der Mittelfinger plötzlich ab. Neben dem Bett landete er auf dem Boden, und ich hatte das Gefühl, neben mir zu stehen.
Ich hörte Bill stoßweise atmen und dabei leise fluchen. Das war kein Zombie, der uns da entgegenkam, sondern eine Frau, die an einer fürchterlichen Krankheit litt.
Ruby ging noch einen Schritt. Sie kam mir in diesem Augenblick vor wie ein Mensch, der Hilfe braucht. Vielleicht hatte sie auch die Hände vorgestreckt, um uns um Hilfe zu bitten. In einer Lage wie dieser war alles möglich.
Den zweiten Schritt schaffte sie nicht mehr. Ihre Beine knickten weg.
Zum Glück fiel sie zur Seite und landete auf dem Bett, sodass sich der Aufprall in Grenzen hielt.
Wir schauten noch zu, wie sie nachfederte und ein schlimm anzuhörender Wehlaut aus ihrem offenen Mund drang. Auf dem Rücken blieb sie dann liegen. Über sich die Lampe, die wie ein großes helles Auge auf sie niederglotzte.
»John - weißt du, welchen Verdacht ich habe?«, flüsterte mir Bill zu.
»Ja, die Pest.«
»Richtig. Und ich frage mich, wie es, verdammt noch mal, dazu kommen konnte?«
»Keine Ahnung. Aber wir müssen den Musiker so schnell wie möglich finden.«
»Er beschwört Geister.«
»Ja, und auch die Pest.«
Ich kannte mich damit nicht aus. Ich wusste allerdings, dass sie ansteckend war, schrecklich ansteckend sogar. Aber ich glaubte in diesem Fall nicht, es mit der normalen Pest zu haben. Sie war auf eine magische Art und Weise entstanden, durch einen Fluch, wie auch immer. Wobei ich nicht ausschließen wollte, dass dieser Fluch die normale Pest unter Kontrolle hielt.
Die Frau lebte noch. Sie wimmerte vor sich hin. Ich ging auf das Bett zu, während mein Freund Bill bereits telefonierte. Hier musste nicht nur der normale Notarzt erscheinen, hier ging es um mehr. Sollte sich herausstellen, dass Ruby tatsächlich mit dem Virus infiziert war, dann musste die Seuchenpolizei alarmiert werden.
BSE, Maul- und Klauenseuche und jetzt die Pest? Man konnte nur beten, dass es nicht zutraf. Ich hatte mich dem Bett genähert, hütete mich allerdings davor, die Frau zu berühren. Ich schaute auf ihr gezeichnetes Gesicht und stellte fest, dass sie ihre Augen bewegte.
Wahrscheinlich hatte sie erkannt, dass jemand bei ihr war. Sie bewegte auch die Lippen.
Für mich war es der Beweis, dass sie reden wollte.
»Ich spüre keine Schmerzen«, hauchte sie. »Es ist alles so anders geworden, Mister.«
»Schon gut. Sie werden gleich in ärztliche Behandlung kommen. Es wird alles gut.«
Als wollte sie mich als Lügner überführen, sagte sie: »Meine Finger sind nicht mehr da. Liegen nebenan. Es kann nicht mehr so werden wie früher. Unmöglich.«
Da hatte sie Recht. Ich stimmte ihr jedoch nicht zu, sondern stellte eine andere Frage. »Wer ist es gewesen? War es Pee?«
»Ja, er war hier.«
»Und was noch?«
»Die Gitarre. Ich hätte sie nicht nehmen sollen, aber ich wollte es einfach. Ich wollte sie erleben, und dann ist es passiert. Als ich spielte, überkam es mich. Etwas drang in meinen Körper ein und hat ihn zerstört. Eine andere Macht. Mehr kann ich nicht sagen. Aber sie war bei mir, so schlimm und schrecklich.«
»Okay, wir werden versuchen, Ihnen zu helfen«, flüsterte ich ihr zu.
»Aber was ist mit Pee?«
»Er ging weg.«
»Wohin?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. Dabei bewegte sie ihre gesunde Hand auf das Gesicht zu und rieb damit über ihre Haut hinweg. Sie kam einigen Wunden zu nahe, schorfte sie auf, und ich sah wieder das Glitzern der Flüssigkeit und nahm auch den üblen Geruch wahr. Frei lagen nur ihr Gesicht und die Hände, aber ich konnte mir vorstellen, dass ihr Körper ebenfalls gezeichnet war.
Was zu sagen war, das war gesagt worden. Sie würde mir nichts mehr erklären können. Deshalb richtete ich mich auf und zog mich wieder zurück.
Mein Freund Bill Conolly stand wie ein Wächter in der offenen Tür.
Er ging vor und damit zurück in den größeren Raum, in dem wir auf Alex Steel trafen.
Er hatte sich in einen Sessel gesetzt und schaute krampfhaft in eine bestimmte Richtung. Bill kannte den Grund. Er
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