122 - Der Geisterwolf
los?« fragte Claudette aufgewühlt.
»Ich habe dir etwas mitgebracht.«
Sie entspannte sich. »Ach so«, sagte sie mit belegter Stimme, während ihre Hand, die Bruce nicht sehen konnte, zur Pfote wurde. »Das kannst du mir später zeigen.«
»Ich möchte es dir aber sofort geben«, erwiderte Bruce O’Hara, »und ich möchte sehen, wie deine Augen vor Freude strahlen. Bleib hier stehen. Ich bin gleich wieder bei dir.«
Er wandte sich um und verließ die Küche, und Claudettes Verwandlung ging auf einmal sehr schnell vonstatten. Ihr Kopf wurde kleiner, und aus ihrem hübschen Gesicht wuchs eine behaarte Schnauze.
Spitze Ohren ragten hoch, und gierig hechelnde Laute kamen aus ihrem halb offenen Mund. In Sekunden war die Wandlung vollzogen, und das gefährliche Tier war nur von einem einzigen Gedanken beherrscht: Es wollte töten!
***
Vicky Bonney hatte keine Ahnung, was hinter ihr passierte. Sie vertraute Spencer Douglas, Das war ein lebensgefährlicher Fehler, aber woher hätte sie das wissen sollen?
Er hatte gesagt, er solle sie zu Mr. Silver bringen, und sie war der Meinung, sich auf dem Weg zum Ex-Dämon zu befinden. Aber Spencer Douglas führte sie in den Keller des Kaufhauses, dorthin, wo er mit ihr allein war.
Die Metamorphose schritt fort. In Douglas’ Wolfsaugen loderte das gnadenlose Feuer der Hölle, und in seinem Maul schimmerten lange Reißzähne.
Wenn Vicky Bonney einen Blick zurückgeworfen hätte, wäre sie zu Tode erschrocken, denn Spencer Douglas war innerhalb weniger Augenblicke zum Monster geworden, Vicky hatte schon oft bewiesen, daß sie ein sehr mutiges Mädchen war. Sie konnte nicht nur gute Bücher schreiben, sondern auch hervorragend kämpfen.
Obwohl Tony Ballard versuchte, sie stets von der vordersten Front fernzuhalten, damit ihr nichts geschah, trainierte er sie fast täglich, wenn er zu Hause war.
Sie sollte stets gewappnet sein gegen alle möglichen Gefahren, denen sie täglich begegnen konnte, denn Tony Ballard hatte viele Feinde, und einige von ihnen wußten, daß sie ihn schmerzlich getroffen hätten, wenn es ihnen gelungen wäre, seiner schönen Freundin ein Leid zuzufügen.
Tony hatte ihr eingeschärft, niemals arglos zu sein. Dennoch war sie es in diesem Augenblick, und das sollte verhängnisvolle Folgen für sie haben.
Sie gelangte in den Keller. Der Werwolf befand sich dicht hinter ihr. Vicky wollte wissen, welche Richtung sie nun einschlagen sollte.
Sie fragte Douglas, wo sich Derns Büro befand, doch der Lykanthrop konnte nicht mehr antworten.
Das machte die Schriftstellerin endlich stutzig. Aber zu spät. Sie begriff, daß sich Derns Büro bestimmt nicht im Keller befand, und verfluchte ihre Vertrauensseligkeit.
Als sie sich umdrehen wollte, passierte es. Der Werwolf stieß ein aggressives Knurren aus. Vicky fühlte sich von harten Pranken gepackt.
Sie wollte um Hilfe schreien, doch das ließ das Monster nicht zu. Blitzschnell legte sich eine Wolfspranke auf Vicky Bonneys offenen Mund und erstickte den Schrei.
Sie riß entsetzt die Augen auf und versuchte sich freizukämpfen. Sie rammte dem Ungeheuer ihren Ellenbogen gegen die Rippen und trat nach seinem Schienbein.
Ein gewöhnlicher Gegner hätte schmerzlich aufgeschrien und Vicky iosgelassen, doch Spencer Douglas spürte die Treffer kaum. Er drückte das Mädchen fest an seinen harten Wolfskörper, preßte ihr die Luft aus der Lunge, so daß sie Gefahr lief, das Bewußtsein zu verlieren.
Je verzweifelter sie sich wehrte, desto fester drückte das Monster zu. Bald tanzten schwarze Flecken vor ihren Augen. Die Ohnmacht kündigte sich an.
Vicky kämpfte verbissen dagegen an, aber sie bekam zuwenig Luft, Die Atemnot wurde rasch akut, und Vicky geriet in Panik. Ein letztes Mal bäumte sie sich wild auf, ohne freizukommen.
Dann sanken ihre Lider herab, und ihr schlanker Körper erschlaffte. Fürs erste hatte der Werwolf erreicht, was er wollte. Nun hob er das bewußtlose Mädchen hoch und trug es zu einem Lastenaufzug.
Er riß das Scherengitter zur Seite, stieg mit seinem Opfer ein, schloß die Gittertür, und wenige Augenblicke später setzte sich der Lift in Bewegung.
***
Mr. Silver wollte Clark Derns Büro verlassen, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Der Ex-Dämon dachte sich nichts dabei. Jemand konnte abgeschlossen haben, ohne zu wissen, daß sich jemand im Büro befand.
Der Hüne bückte sich und schaute durch das Schlüsselloch, und es machte ihn stutzig, daß der Schlüssel nicht steckte.
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