122 - Der Grabräuber
glaube, Fred?"
„Nein", erwiderte er mit schwerer Zunge.
„Es gab eine andere Frau, die ihn mir weggenommen hat. Ein junges Ding namens Angelina Garvin. Ich hasse sie. Alle beide. So hat mir Jeff meine Zuneigung und Aufopferung gedankt. Ich spucke ihm ins Gesicht, wenn ich ihn jemals wiedersehe."
Sie machte auf dem Absatz kehrt, warf die Tür ins Schloß und ging davon.
Fred wollte aufstehen, ihr nachlaufen, weitere Erklärungen fordern, statt dessen fiel er auf das Bett zurück und schlief sofort ein.
Er schlug die Augen auf. Es war dunkel um ihn herum. Sein Kopf schmerzte immer noch heftig. Er blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. Der Sekundenzeiger bewegte sich; die Hauptzeiger standen auf kurz vor elf.
Fred Archer glitt vom Bett, fand den Hebel für die Jalousie und bewegte ihn. Als sie die Lamellen öffneten und 'Sonnenlicht hereinließen, hatte er endlich die Gewißheit, daß es nicht später Abend, sondern Morgen war.
Er wusch sich mit kaltem Wasser ab, doch seine Schmerzen linderte das nicht. Mit mürrischer Miene stieg er ins Erdgeschoß hinab. Er rief nach Sandra, aber sie antwortete nicht. Auch Edward ließ sich nicht blicken. Er ging in die Küche und bediente sich selbst. Wo er Kaffee, Brot, Schinken und Tabletten zu suchen hatte, wußte er schließlich. Er setzte sich, nahm das Frühstück ein und murmelte: „Aspirin - es wäre besser, wenn du dir einen Vorrat zulegen würdest, Fred. Man wird älter. 0 Himmel, was ist bloß mit dir los?"
Etwas später betrat er den Salon. Die Geheimtür neben dem Kamin stand halb offen. Er steuerte darauf zu, schlüpfte durch den Spalt und befand sich in dem Festsaal der Bacchanten. Ein Bild heilloser Unordnung bot sich seinen Blicken. Der heidnische Altar war von oben bis unten mit dunkler Substanz bekleckert, mit Rotwein, wie Fred annahm. Tonscherben von den Krügen, Kelchen und Kleidungsstücke lagen auf dem Boden verstreut. Sämtliche Stühle waren umgestürzt, einige zerbrochen.
Fred sah eine Gestalt neben dem Altar kauern. Er schritt auf sie zu.
Es war Edward. Der alte Mann sah ihn, richtete sich auf und knüllte etwas zusammen. Offenbar wollte er es vor ihm verbergen. Fred stellte aber trotzdem noch fest, daß es sich um ein über und über beflecktes weißes Laken handelte. Die Flecken waren rot.
Rotwein?
Zweifel befielen Fred. Dem Farbton nach konnte es sich genausogut um Blut handeln. Er fühlte etwas Kaltes, Beunruhigendes in sich aufsteigen.
„Guten Morgen!" sagte er sarkastisch. „Ist das nicht ein wunderschöner Tag, Edward?"
Seine Stimme klang rauh und krächzend.
„Guten Morgen, Sir!" Edward stopfte das Bündel in einen Leinensack. Er verzog keine Miene. „Ich hoffe, Sie haben eine angenehme Nachtruhe gehabt. Kann ich etwas für Sie tun?"
„Ja. Verraten Sie mir, was hier gelaufen ist."
„Das kann und will ich nicht."
„Gebrauchen Sie nicht immer die gleichen Floskeln, Edward! Sie nerven mich. Meine Geduld ist zu Ende."
Der englische Butler lächelte freudlos. „Sie könnten mich totschlagen, und ich würde Ihnen bis zum letzten Atemhauch immer wieder den einen Rat geben: Fliehen Sie!"
„Nichts liegt mir ferner. Wiedersehen, alter Mann. Ich unternehme jetzt einen Spaziergang."
Fred Archer verließ wutentbrannt das Herrschaftshaus. Sein Auto stand noch im Park, die anderen Wagen waren jedoch fort. Ohne Alexandra Constantini zu Gesicht zu bekommen, stieg er ein und fuhr los.
Bacchanten, dachte er, zur Hölle mit euch! Zum Teufel mit der ganzen Geheimniskrämerei und den perversen Wünschen der Menschen!
Er war in der richtigen Laune, sich mit jemandem anzulegen. Zum Beispiel hätte er sich gern näher mit Erichtho unterhalten und ihn ein wenig durchgeklopft. Je weiter er sich von Sandras Haus entfernte, desto mehr kehrte sein altes Selbstbewußtsein zurück. Schade nur, daß die Sektenmitglieder ausgeflogen waren.
Er entsann sich des Hinweises, den ihm der feiste Untote in Angelina Garvins Apartment geliefert hatte. Zwar war es noch nicht Abend, aber er beschloß trotzdem, zum Friedhof von San Leandro zu fahren und sich ein wenig umzuschauen. Wo San Leandro lag, wußte er. Man mußte die Innenstadt durchqueren, dann über die San-Francisco-Oakland-Bay-Bridge und in Richtung Hayward nach Süden durch Oakland fahren.
Während er den Wagen durch den Mittagsverkehr manövrierte, dachte er wieder an den widerlichen Untoten. Wie hatte der unbemerkt in die Gough Street gelangen und sich ebenso unbeobachtet
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