123 - Piraten aus dem Jenseits

Geisterpiraten?«
    »Wenn sie nicht zurückkommen, wird Pan Allac Verdacht schöpfen und sich vorsehen. Ich denke, es ist besser, wir lassen den Dingen vorläufig ihren Lauf.«
    Alonzo Berry stieg in das Geisterboot. Die Piraten - dunkle, unheimliche, schemenhafte Gestalten - legten sofort ab und kehrten zu ihrem Schiff zurück, »Wird Zeit, daß auch wir an Bord gehen«, sagte ich zu Mr. Silver.
    ln einem kleinen Bootshaus hatten wir mehrere Ruderboote entdeckt. Wir würden uns eines davon nehmen.
    Mein Freund und ich traten hinter dem Wrack hervor und begaben uns zum Bootshaus. Ich wählte das beste Boot aus und setzte die Riemen in die Gabeln.
    »Laß mich rudern«, verlangte Mr. Silver. »Spar dir deine Kräfte auf, du wirst sie auf dem Geisterschiff noch brauchen.«
    »Hoffentlich kannst du mit diesen Dingen umgehen. Wenn du sie nämlich nicht gleichmäßig einsetzt, fahren wir im Kreis.«
    »Was du nicht sagst. Hältst du mich für einen vollkommenen Trottel?«
    »Wer ist schon vollkommen?«
    Ich stieß das Boot vom Holzsteg ab. Mr. Silver setzte sich auf die Ruderbank, und wir schaukelten langsam aus dem Bootshaus. Der Ex-Dämon tauchte die Ruderblätter ins Wasser und zog die Riemen kraftvoll durch.
    Jeder Ruderschlag brachte uns dem Geisterschiff näher. Ein verdammt gefährlicher Job wartete dort auf uns. Wenn wir vorzeitig entdeckt wurden, konnten wir vergessen, was wir vorhatten.
    Dann ging es uns nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit an den Kragen, Mr. Silver war zwar nicht so leicht zu besiegen, aber wie heißt es doch: Viele Hunde sind des Hasen Tod.
    Und auf dem Geisterschiff gab es mehr als genug »Hunde«.
    »Hoffentlich sind sie nicht besonders aufmerksam«, sagte ich, den Blick auf die Nebelbank gerichtet.
    Mr Silver ruderte so regelmäßig wie eine Maschine. Wir kamen zügig voran. Der Ex-Dämon rechnete mit Wachen an Deck, wie er mir sagte.
    »Wir werden sehr vorsichtig sein müssen«, sagte er.
    Seine Kleidung war immer noch naß. Ich hätte mir an seiner Stelle in den nassen Klamotten den Tod geholt, aber Mr. Silver mußte man in jeder Hinsicht mit anderen Maßstäben messen.
    Er war eben doch kein Mensch und unterstand anderen Gesetzmäßigkeiten als ich. Kälte umwehte mich. Die Wasseroberfläche kräuselte sich, und hinter den Ruderblättern bildeten sich kleine schwarze Wirbel. Ich entdeckte am Bug des Geisterschiffes eine Gestalt und machte Mr. Silver darauf aufmerksam.
    Er hörte sofort auf zu rudern, und wir legten uns flach ins Boot. Der Pirat stand so reglos wie eine Statue da.
    »Zum Glück sieht er in die andere Richtung«, raunte mir Mr, Silver zu.
    Jetzt bewegte sich der Mann auf dem Deck. Er schlenderte an der Reling entlang und war Augenblicke später nicht mehr zu sehen. Wir richteten uns wieder auf, und Mr. Silver nahm die Riemen in die Hand, ruderte aber noch nicht.
    Nachdem zwei Minuten verstrichen waren, nahm der Hüne seine Tätigkeit wieder auf. Eine leichte Strömung hatte uns erfaßt und abgetrieben. Mr. Silver brachte das kleine Ruderboot wieder auf den richtigen Kurs, und wir näherten uns dem hoch aufragenden Heck.
    Mir fiel ein Fallreep auf, über das wir an Bord klettern konnten. Es reichte fast bis zur Wasserlinie. Wir tauchten ein in den Geisternebel, und ich spürte die unnatürliche Kälte dieser künstlichen Wolke, die eine perfekte Tarnung für das Gespensterschiff darstellte.
    Der Nebel dämpfte alle Geräusche. Dennoch hörte ich Schritte und Stimmen an Deck. Ganz kurz kamen mir Zweifel, ob wir richtig handelten.
    Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, Boram und Lance Selby mitzunehmen und den »Weißen Kreis« zu informieren. Aber wenn wir mit einer Riesenmannschaft angerückt wären, hätte Pan Allac wahrscheinlich Fersengeld gegeben.
    Es war zwar gefährlicher, daß Mr. Silver und ich uns allein an Bord wagten, aber wir verscheuchten die Geisterpiraten wenigstens nicht. Als wir das Schiff fast erreicht hatten, hob Mr. Silver die Riemen aus den Gabeln und legte sie ins Boot.
    Er drehte sich um. Wir trieben auf die Geistergaleere zu, und Mr. Silver richtete sich auf, um unsere Nußschale mit den Händen abzufangen, denn wenn sie gegen das Geisterschiff stieß, konnte eine Wache auf uns aufmerksam werden.
    Leises Ächzen, Stöhnen und Kettengerassel drang an mein Ohr. Es kam aus den dunklen Ruderöffnungen, von dort her, wo sich die »Galeerensträflinge« befanden, jene Leute, ohne die das Schiff nicht fuhr. Es mußte mit Muskelkraft bewegt werden,