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1280 - Der Engel und sein Henker

1280 - Der Engel und sein Henker

Titel: 1280 - Der Engel und sein Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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draußen. Das Geräusch war nicht so schnell zu identifizieren, und ich dachte zuerst an ein Tier. Bis mir klar wurde, dass es sich auch um das Keuchen eines Menschen handeln konnte, der draußen irgendeiner anstrengenden Tätigkeit nachging.
    Lavinia Kent wohnte zwar Parterre, aber recht hoch. Um die Wohnung durch das Fenster betreten zu können, musste man schon an der Hausmauer in die Höhe klettern, und das war nicht eben einfach.
    Außerdem musste sich der Kletterer seiner Sache sehr sicher sein. Da aber würde ich ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ich veränderte meine Position und kauerte mich an der rechten Seite des Sessels nieder. Dort war am meisten Schatten. Die nächste Kerze brannte auf der linken Seite, und ich war jetzt froh, dass Lavinia nicht zu viele Dochte angezündet hatte.
    Das Keuchen nahm zu. Ich vernahm auch einen geflüsterten Fluch. Da war für mich alles klar.
    Die Beretta hielt ich in der rechten Hand. Sie berührte neben mir den Boden. Ich war voll auf das Fenster konzentriert. Davor lagen einige Glasstücke, die wie Eis schimmerten, das nicht wegtauen wollte.
    Zuerst sah ich den Kopf.
    Das heißt, es war nicht mehr als eine flache Fläche, denn der Kletterer hatte sich ein Tuch über die Haare gebunden. Möglicherweise auch über eine Glatze, was jedoch keine Rolle spielte.
    Er musste an der Hauswand Halt gefunden haben. Da gab es vielleicht Vorsprünge oder Ritzen, und jetzt sah ich, wie zwei Hände durch das Fenster griffen und nach einem Halt im Innern suchten. Die Finger bewegten sich tastend über die Fensterbank hinweg und suchten die innere Kante.
    Der Typ schaffte es.
    Er zog sich höher, und ich sah sein Gesicht wie einen bleichen Schatten in der Dunkelheit. Viel erkannte ich nicht, aber eines war deutlich zu sehen. Er hatte die Klinge eines Messers quer zwischen seinen Zähnen stecken. Es fehlte nur noch die Augenklappe, und er wäre der perfekte Pirat gewesen.
    Es war keine bequeme Haltung, in der er sich befand. Trotzdem blieb er dort, denn er wollte in das Zimmer hineinschauen und sich einen ersten Eindruck verschaffen.
    Ich- wusste nicht, was er sich erhofft hatte, aber unzufrieden konnte er nicht sein, denn er sah weder die Frau noch mich. Dafür ein fast romantisches Bild im Schein der leicht flackernden Kerzenflammen.
    Er zischte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte. Es gefiel ihm wohl nicht, was er sah, aber er ließ sich davon nicht aufhalten. Der nächste Ruck brachte seinen Oberkörper so hoch, dass er sich mit dem Knie des angewinkelten Beins gegen die äußere Fensterbank stemmen konnte.
    Dann war der Weg für ihn frei.
    Bevor ich mich auf seine Position eingestellt hatte, stieß er sich ab und sprang in das Zimmer hinein.
    Bisher hatte er bei seiner Aktion Glück gehabt. Das verließ ihn jetzt, denn beim Auftreten erwischte er mit dem rechten Fuß eine Scherbe, und einen Moment später geriet er in einen unfreiwilligen Spagat.
    Besser hätte es für mich nicht laufen können, denn in dieser Lage war er praktisch wehrlos. Zudem hatte ihn diese freiwillige Bewegung so erschreckt, dass er den Mund öffnete und das Messer verlor.
    Es hatte kaum den Boden berührt, da stand ich wie ein drohender Todesengel neben dem Typen und fragte: »Steigst du immer so in fremde Häuser?«
    Eine Antwort gab er nicht. Meine Frage hatte ihm die Sprache verschlagen. Aber er bewegte sich und wollte nach seinem Messer greifen. Nur ein Zucken der Hand ließ ich zu, dann holte ihn meine Stimme auf den Boden der Tatsachen zurück.
    »Besser nicht, Freund!«
    Ob er den kalten Stahl der Mündung durch den Tuchstoff auf seinem Kopf spürte, war mir nicht klar. Zumindest aber wurde er zum Denkmal, und genau das hatte ich gewollt.
    Dass seine Haltung unbequem war, konnte ich sehen, nur war das nicht mein Problem. Ich setzte darauf, dass ich entsprechende Antworten auf meine Fragen bekommen würde.
    »Bist du Craig Logan?«
    »Nein!«
    »Okay, wer dann?«
    »Leck mich!«
    »Danke, aber ich habe Geschmack!«
    Lavinia bewegte sich. Ich sah, wie sie aus dem Schatten auftauchte. Sie richtete sich vorsichtig auf und schaute zunächst mal in die Runde. Sicher bewegte sie sich nicht, aber sie kam mit zögerlichen Schritten näher und nahm auch eine Kerze mit, die ihren Platz in einem hohen Ständer gefunden hatte. So wie sie ging, erinnerte mich Lavinia an eine Frau, die eine Prozession anführte.
    Sie blieb so nahe bei uns stehen, dass das Licht der Kerze auch gegen unsere Gesichter schien

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