1322 - Das Grauen von St. Severin
gesagt hatte, dann war die folgende Nacht die Zeit der Rache, des Todes, der langen Messer. Dann würde Becker seine Rache durchziehen und all diejenigen Personen töten, die er sich vorgenommen hatte.
Becker nickte lässig. »Ja, Sie haben es erfasst. Es geht der Reihe nach. Und Sie, Claasen, sind bereits in den Bann der Figur geraten. Denken Sie an Ihre Augen.«
»Warum ich? Was ist da geschehen…?«
»Sein Bann hat sie getroffen. Die dunkle Kraft, die in ihm steckt. Die der Spuk ausstrahlt. Alte Regeln sind durchbrochen worden. Ich erfuhr von Veränderungen, die bevorstehen. In das dunkle Reich dieses Dämons werden auch Menschenseelen gezogen. Nicht nur die der getöten Dämonen. Und bei Ihnen hat der Herrscher bereits seine Zeichen gesetzt. Es sind die beiden roten Augen. Sie sind auch sein Wahrzeichen. So zeigt sich der Spuk den Menschen. Etwas von ihm steckt in Ihnen und Sie werden es nicht schaffen, ihn wieder loszuwerden. Heute und hier an dieser Stelle wird er Ihnen die Seele rauben. Sie werden auf die Knie fallen und als Mensch zu Grunde gehen, denn ohne Seele werden Sie nicht mehr leben können. Das musste ich Ihnen sagen.«
Claas Claasen sagte nichts. Er konnte nicht mehr sprechen. Was er erfahren hatte, war unglaublich. Es war zudem nicht zu erklären und er hätte es auch nicht geglaubt, wäre da nicht vor einiger Zeit dieses Schreckliche passiert, das mit Nelly Beckers Tod begonnen hatte.
Seine Gedanken irrten ab. Er beschäftigte sich nicht mehr nur mit sich selbst. Jetzt waren auch andere Menschen wichtig. Mit einer kaum zu verstehenden Stimme fragte er: »Wer noch? Wer soll noch sterben außer mir?«
»Andreas Brass…«
»Mein Gott!«
Becker lachte. »John Sinclair natürlich.«
»Ja, aber er…«
»Kein Aber. Ich werde ihn erledigen. Ich habe es mir vorgenommen und daran werde ich mich halten. Sinclair wird sterben und natürlich eine gewisse Silke von Weser. Es ist wie damals. Ich habe sie wieder alle zusammenbekommen.«
Claasen blieb stumm. Er brauchte nichts mehr zu fragen. Jetzt wusste er, wie der Racheplan technisch ablief. Er brauchte nur an Nelly Becker zu denken, um sich vorstellen zu können, wie aus der Theorie die blutige Wahrheit wurde.
Hajo Becker sprach weiter. Bei jedem Wort war zu spüren, wie er seinen Triumph auskostete. »Mit Ihnen wird der Anfang gemacht. Sie werden hier bei meinem Freund sterben. Ich weiß, dass auch die anderen erscheinen werden, um den Mönch zu besichtigen. Sie werden nicht nur ihn finden, sondern auch einen toten Claas Claasen, denn die Kraft, die jetzt schon in Ihnen steckt, wird Sie zerfressen.«
Gerade das letzte Wort beeindruckte den Hotelier. Jetzt schoss die Angst wieder in ihm hoch. Er dachte an die tote Nelly Becker und dabei besonders an die Würmer, in die sich ihr Gesicht verwandelt hatte. Auch das war ihm zerfressen vorgekommen. Da war aus dem Mensch plötzlich der Schrecken geworden wie in einem der Horrorfilme.
Hajo Becker nickte ihm zu. »Ich denke mir, dass ich die Unklarheiten beseitigt habe. Der Tag neigt sich seinem endgültigen Ende entgegen und so ist es auch mit Ihrem Leben, Herr Claasen. Deshalb…«
Etwas widersprach seinen Worten. Keine normale Antwort, sondern eine, die von der Straße herkam, als wollte sie noch mal dafür sorgen, dass sich der vergehende Tag ein letztes Mal aufbäumte.
Ein Schleier aus Licht huschte auf das Kirchengrundstück und erfasste die beiden Männer. Der Motor des heranfahrenden Wagens war nicht zu hören, aber das Licht stammte von Autoscheinwerfern und für einen Moment hatte die Wirklichkeit den Hotelier wieder.
Zuvor war er sich vorgekommen wie eingefangen in einer fremden Welt.
Auch Becker zeigte sich leicht irritiert, aber er fing sich schnell wieder. Zudem hörte er, wie jemand seinen Namen rief.
»Hajo?«
»Alles klar, ich bin hier.«
Claasens Verstand arbeitete wieder hell und klar. Ihm fiel ein, dass er die Stimme schon mal im Hotel gehört hatte. Lange brauchte er nicht nachzudenken. Ihm wurde schnell klar, wem die Stimme gehörte.
Der Mann hieß Friedhelm Kohl. Er war zusammen mit Hajo Becker gekommen. Natürlich steckten die beiden unter einer Decke.
Hilfe konnte Claas nicht erwarten.
Und doch gab er nicht auf. Diese kurze Ablenkung hatte den Widerstandswillen in ihm hochgepusht. Er lebte. Er besaß seine Kräfte. Er war nicht verletzt und er musste auch daran denken, dass es eine Frau und drei Kinder gab, die ihn brauchten. Auch wenn die Macht des anderen Dämons
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