139 - Kreis der Telepathen
das Schiff lang; mindestens sechs Speerlängen. Aruula riss ihr Schwert aus der Scheide. Wie einen Spieß streckte sie es dem Tier entgegen. Sie sah das Gelb seiner Augen.
»Auf den Bauch, Aruula!«, schrie die Zwergin. Die Axt in beiden Händen, kauerte Faathme an der Heckreling.
Und dann war es, als neigte die Welt sich zur Seite. Wasser schlug über Aruula zusammen. Sie riss die Augen auf, schluckte Salzwasser. Nichts hatte sie der Gewalt der Strömung entgegen zu setzen, gar nichts – sie scheuerte über glitschige Planken, rammte ihr Schwert hinein und hielt sich daran fest. Die Welt rotierte: Wellen oben, Himmel unten, Wellen rechts, Himmel links…
Die Kräfte des Wassers trugen sie und den Schiffsrumpf dem Himmel entgegen, rissen sie zurück, auf und ab ging es, auf und ab.
Aruula begriff, dass es der Kiel des Schiffes war, an dem sie sich festhielt. Sie riss ihr Schwert aus dem Holz, versuchte nach oben zu klettern, erreichte die Kiellinie und legte sich darüber. Auf der anderen Seite des Rumpfes sah sie dunkles Seegras auf den Wellen schwimmen. Plötzlich tauchte ein Kopf aus dem Wasser auf, und Aruula erkannte das vermeintliche Seegras als Faathmes Haar. Die Zwergin prustete und keuchte, ging aber nicht wieder unter. Mochte Wudan wissen, woran sie sich festklammerte.
Aruula warf den Kopf in den Nacken – der verdammte Eluu war nirgendwo mehr zu sehen. Sie blickte zurück. Etwa drei Speerwürfe entfernt stieg der Dreimaster über eine Welle und verschwand hinter der nächsten. Keine vier Speerlängen von Faathme entfernt trieb eine Deckplanke im Wasser. Faathme deutete darauf. Aruula nickte, steckte ihr Schwert in die Rückenscheide und sprang seitwärts vom Kiel.
Fast gleichzeitig erreichten die Frauen die lange Planke und klammerten sich mit einem Arm daran fest. Mit dem zweiten und mit den Beinen gelangen ihnen doch wenigstens so kräftige Schwimmbewegungen, dass der Strand nach jeder Welle, die den Blick auf ihn wieder freigab, ein Stück näher gerückt zu sein schien.
Bald spürten sie Boden unter den Füßen. Die Wellen rissen sie hoch, drückten sie nach unten und spülten sie schließlich an den Strand.
»Da hinauf!« Aruula deutete zu den Klippen. Über ihnen ragte ein alter Leuchtturm in den Himmel. Sie stolperten durch den Sand, fanden eine Aufstiegsmöglichkeit und begannen zu klettern.
Wieder und wieder blickte sich Aruula nach den Verfolgern um. Drei oder vier Speerwürfe vom Strand entfernt waren sie jetzt vor Anker gegangen. Ein kleines Ruderboot mit acht Männern an Bord pflügte durch die Wellen. Nicht einmal ein Speerwurf trennte es mehr vom Strand. Auch der Rothaarige saß im Boot. Was für ein hartnäckiger Bursche! Fast bedauerte Aruula, ihm nicht mit gezogener Klinge begegnet zu sein.
Minuten später erreichte Aruula endlich den Klippenrand.
Sie streckte ihre Hand nach der Zwergin aus, die ein Stück zurückgefallen war, und zog sie zu sich hinauf. Eine Zeitlang knieten sie im Geröll, schöpften Atem und beobachteten, wie der Rote und seine Männer aus dem Boot ins seichte Wasser sprangen und es die letzten Meter durchs Uferwasser an den Strand zogen.
»Sie sind schnell, und sie wissen, was sie wollen«, sagte Aruula. »Der finstere Dämon der Tiefe soll sie holen! Auf offenem Feld werden wir ihnen nicht entkommen. Lass uns in den Turm fliehen. Der ist schmal, seine Tür und seine Treppe eng und gut zu verteidigen.«
Faathme starrte nach oben; Aruula folgte ihrem Blick: Unzählige Vögel flogen über sie hinweg landeinwärts. Ihr Schwarm bedeckte den Abendhimmel. Wie eine dunkle Wolke schob er sich vom Meer her über die Küste.
Und dann sah Aruula einen weißen Streifen am Horizont. Es sah aus, als würde ein Spalt zwischen Meer und Abendhimmel klaffen. Der Spalt wurde breiter, der weiße Streifen wuchs zu einer Mauer.
»Was ist das?«, flüsterte Aruula.
Faathme packte ihre Begleiterin am Handgelenk und sprang auf. »Zum Turm!«, schrie sie. »Das Meer steigt aus seinem Bett! Schnell zum Turm…!«
***
Sie fuhren die folgende Nacht durch und erreichten den Strom früh am folgenden Morgen. Die Sichel des Planetentrabanten stand noch am Himmel, und nicht weit von ihr strahlte ein großer heller Stern; ein besonders schöner Stern. Sein Anblick rückte die vergangenen Tage und die Gedanken an die kommenden Tage in weite Ferne. Für viel zu viele Augenblicke geschah es, dass Veda’lan’tubaris sich geradezu verlor im Leuchten dieses wunderbaren Sterns. Sie
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