1390 - Blut-Banditen
stand und von einer Hand festgehalten wurde. Sein Kopf war zur rechten Seite gekippt. An der linken Seite saugte der Vampir. Er hatte seinen weit geöffneten Mund fest auf die Haut am Hals gepresst.
Sandro tat nichts. Nicht, dass er seinem Bruder nicht hätte helfen wollen, aber er war dazu einfach nicht in der Lage. Er war nicht so schnell. Sein Denken war reduziert. Er gehörte zu den Menschen, die nur sehr, sehr langsam etwas begriffen.
Aber er gehörte zu Jossip, und der hätte seinen Zwillingsbruder nie im Stich gelassen.
Umgekehrt war es ebenso, doch es dauerte stets eine Weile, bis Sandro etwas kapierte.
Auch jetzt drang das Geschehen nur sehr spärlich in sein Bewusstsein. Er sah die Szene und musste sie erst überdenken.
Als er sich bewegte, da war ihm bewusst geworden, dass sich sein Bruder in Gefahr befand. Und wenn Sandro einmal etwas kapiert hatte, dann ließ er sich von einer entsprechenden Reaktion nicht abbringen. Da drang das Helfersyndrom in ihm hoch, und er nickte sich selbst zu. Ja, er musste hin.
Sandro bewegte sich mit schaukelnden Bewegungen. Er keuchte.
Er konnte den Blick nicht mehr von den beiden Gestalten abwenden.
Am schlimmsten war für ihn, dass sich sein Bruder nicht mehr wehrte. Er zuckte nicht mal, und Sandro sah, dass die Knie des Bruders nachgaben. Er wäre zu Boden gefallen, wenn ihn der Typ mit dem D auf der Stirn nicht gehalten hätte.
»He, du!«
Der Kerl bewegte sich nicht.
Sandro wollte eine Antwort haben. Wenn er keine bekam, war er sauer. Da wurde er auch aggressiv.
Er schlug eine Hand auf die Schulter des Fremden. Die Finger hakten sich dort regelrecht fest. Wütend zerrte er den Eindringling zurück, der sich nicht wehrte. Er kippte Sandro entgegen, drehte dabei den Kopf, und auch bei diesem schlechten Licht war das Blut um seinen Mund herum gut zu sehen.
»He, was hast du mit ihr und meinem Bruder…«
Er fragte nicht mehr weiter. Ein knochenharter Schlag erwischte Sandros Kinn. Es war ein Gefühl, als hätte man ihm die untere Zahnreihe ins Gehirn geschlagen. Er hörte sich selbst schreien, geriet ins Wanken und taumelte zurück. Schmerzen steckte er weg. Der Schrei war mehr aus der Wut heraus geboren.
Sandro blieb auf den Beinen. Aus seiner Kehle schlüpfte ein Knurren. Um die Schmerzen in seinem Kopf kümmerte er sich nicht. Er war darauf eingestellt, den Eindringling zu vernichten.
Es gelang ihm nicht.
Mallmann war eiskalt. Er ließ von Jossip ab und bewegte sich auf dessen Bruder zu. »Du kommst auch noch an die Reihe. Und zwar sofort, mein Freund!«
Der zweite Treffer schleuderte Sandro zu Boden. Er war durch die Faust des Vampirs am Kopf getroffen worden. Die Sterne waren vor seinen Augen aufgefunkt, und kurz danach verlosch für ihn das Licht.
Bewegungslos blieb er liegen.
Dracula II war zufrieden. Er ließ sich jetzt Zeit. Lächelnd drehte er sich auf der Stelle. Dreimal Blut von drei Opfern. Wie lange hatte er darauf verzichten müssen. Vergessen war die Periode der Schwäche.
Jetzt ging es darum, dass er seine Zukunft ordnete, und dazu gehörte es, sich satt zu trinken.
Er wollte auch den dritten Menschen leer schlürfen. Da konnte er sich Zeit lassen. Es war zudem die perfekte Umgebung. Hier würde man ihn und die anderen Blutsauger so leicht nicht finden. Es würde eine Weile dauern, bis sie erwachten, und dann waren sie bereits echte Blutsauger. Er hatte nicht nur einen Teil ihres Blutes getrunken, sondern alles. Wäre es anders gewesen, dann hätte der Vampirkeim zwar auch in ihnen gesteckt, doch er hätte mehrmals zubeißen und trinken müssen, um sie zu seinen Blut-Banditen zu machen.
Mallmann sah sich als Einzelgänger. Trotzdem konnte er auf Hilfe nicht verzichten. Es war gut, wenn er Unpersonen an seiner Seite wusste, die ihm gehorchten.
Er wischte über seine Lippen. Mallmann war zufrieden. Er freute sich über seine neue Kraft. Es gab auch nur wenige Orte, an denen er sich wohl fühlte. Dazu gehörten die Vampirwelt auf der einen Seite und das ›Land seiner Väter‹ auf der anderen. Rumänien, das ehemalige Transsylvanien. Die Karpaten mit all ihrer Düsternis – das war schon perfekt.
Er ging zur Tür und schaute nach draußen. Es war nach wie vor finster. Viel sah der Blutsauger nicht. Es war auch nicht nötig. In der Ferne brannten einige Lichter, die ihm vorkamen wie nach unten gefallene Sterne. Ansonsten herrschten Dunkelheit und Stille.
Bald würde der Morgen grauen. Dann hatte der Tag die Nacht endgültig besiegt.
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