14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
sich und andere; er wollte sich einmal Gewißheit schaffen, wollte einmal sehen, ob es wahr sei, daß das Wort des Propheten auf der Spitze der Schwerter über den Erdkreis schreiten werde. Er hing sich den Köcher um, griff zu Speer und Bogen, bestieg ein zottiges Roß und nahm den ersten, den besten Nachbar beim Schopf. Er siegte und siegte wieder; das begann ihm zu gefallen. Er fühlte mit den Siegen seine Kräfte und sein Selbstvertrauen wachsen; darum schritt er mit kühnen Schritten weiter. Es lagen ihm Tausende zu Füßen; er konnte in Gold und Perlen wühlen, aber er aß seinen trockenen Schafkäse zu dem harten Haferbrot nach wie vor, denn das gab ein festes Knochengerüst und eine eiserne Muskulatur.
Das blieb so, bis er gezwungen wurde, bis an den Leib in dem Sumpf byzantinischer Heuchelei und griechischer Raffinierie zu waten. Man schmeichelte ihm, man machte ihn zum Halbgott; man zerstreute ihn durch hundert Aufmerksamkeiten; man erfand tausende Sünden, um Einfluß auf ihn zu gewinnen, und lehrte ihn Bedürfnisse, die ihn zu Grunde richten mußten. Seine Natur widerstand lange; aber als er einmal zu siechen begann, nahm die Krankheit Riesenschritte an, und nun liegt er da, umgeben von eigennützigen Ratgebern, welche sich sogar nicht scheuen, noch zu seinen Lebzeiten sein Erbe an sich zu reißen.
Nur ein einziger steht von ferne, mit christlicher Teilnahme im Herzen. Er war ihm einst ein ehrlicher Feind und möchte ihm nun auch ehrlicher Freund sein. Er hat eingesehen, daß der Türke ein ebenso großes Recht hat, sein Land zu behaupten, wie Preußen sein Schlesien, Sachsen und Hannover behalten hat. Dem Kranken, um welchen die Geier lauern, ist schon der aufrichtige Blick dieses Einen eine Bürgschaft der Genesung, und darum fühlt er sich bereit, ihm zuliebe selbst das zu tun, was er sich von anderen nie erzwingen ließe.
Dieser Einzige ist der Deutsche. Ist dem Germanen wirklich die weltgeschichtliche Rolle zugeteilt, der Träger christlicher Humanität zu sein, so ist er sicher überzeugt, daß Mekka einst veröden wird, wenn die Liebe dem Haß das Schwert aus der Hand gewunden hat. Oder ist es vielleicht Wahnsinn, zu glauben, daß der Türke ein Christ werden könne? Das hieße nichts anderes, als die Macht des Evangeliums zu verleugnen. – – –
Warum aber diese Einleitung? Einfach darum: Ich hasse den Türken nicht, sondern er dauert mich, weil ich ein Christ bin, und es tut mir immer wehe, wenn ich einen Türkenfresser behaupten höre, daß dem Osmanen nicht zu helfen sei. Das ist Pharisäer-Hochmut, aber kein Christensinn. Die Streiter unserer heiligen Kirche besitzen mächtigere Waffen, als Schwerter und Kanonen es sind. Diese Waffen haben Weltreiche ohne Blut erobert. Warum soll diese Eroberung des Friedens nicht still und kräftig weiterschreiten? Das ist die Lösung der orientalischen Frage, wie der Christ sie sich denkt. – – –
Drunten im goldenen Horn liegt die ‚Bouteuse‘. Sie hat die Flügel eingezogen und sich an die Kette legen lassen. Vorher aber war sie eine gute Seglerin und zeigte sich unserem amerikanischen Klipper gewachsen, denn sie war einen vollen Tag eher als wir in Stambul angekommen.
Als wir an das Land stiegen, war mein erster Ausflug zur ‚Bouteuse‘. Der Kapitän derselben empfing mich mit der liebenswürdigen Freundlichkeit, welche den Franzosen im gesellschaftlichen Leben eigentümlich ist.
„Sie wünschen, mein Schiff zu besehen?“ fragte er mich.
„Nein, Kapitän; ich wünsche, mich bei Ihnen nach einem Ihrer letzten Passagiere zu erkundigen.“
„Ich stehe zu Ihren Diensten!“
„Es ist in Tripoli ein Mann bei Ihnen an Bord gegangen –“
„Ein einziger, ja.“
„Darf ich fragen, unter welchem Namen?“
„Ah, Sie sind Polizist?“
„Nein, ich bin ein einfacher Deutscher, der Mann, nach dem ich frage, hat in Damaskus einem Freund von mir sehr wertvolle Pretiosen gestohlen. Wir folgten ihm, kamen aber in Tripoli erst an, als Sie im Begriff standen, die See zu gewinnen. Wir konnten nur in Beirut Gelegenheit finden, Ihrem Kurs zu folgen. Das sind die Gründe meines Besuches auf Ihrem Fahrzeug.“
Der Mann strich sich sehr nachdenklich das Kinn.
„Ich bedaure Ihren Freund von Herzen, weiß aber nicht, ob ich Ihnen von Nutzen werde sein können, so gern ich das auch möchte.“
„Dieser Mann ist sofort vom Bord gegangen?“
„Sofort. Ah, da fällt mir ein, daß er einen Hammal (Lastträger) an Bord winkte, um sich seine
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