1537 - Der Schlafwandler
es nur sie und die Fremde, und Glenda war gespannt, wie sie Kontakt mit ihr aufnehmen wollte.
In den folgenden Sekunden passierte nichts. Glenda bewegte sich nicht, und die Person im Spiegel zuckte nicht mal mit den Wimpern. Sie stand dort so starr, als wäre sie eingefroren. Aber sie hielt die Waffe umklammert, und das vergaß Glenda nie.
Nur kurz schaute sie über die Schulter zurück.
Es war niemand vor dem Schaufenster stehen geblieben, um in den Laden zu schauen. Die Leute gingen vorbei, zudem war das Schild mit der Aufschrift »closed« am Eingang deutlich zu erkennen. So konnte sich Glenda voll und ganz auf die Fremde konzentrieren.
Noch lag zwischen ihr und dem Spiegel die Distanz einer Körperlänge.
Zu lang, wie sie fand. Wenn sie etwas erreichen wollte, musste sie nahe an die andere Gestalt heran.
Und das tat sie auch. Dabei war sie noch immer darüber verwundert, nicht ihr eigenes Spiegelbild zu sehen. Für sie war der Spiegel zweckentfremdet worden, und das nicht von einer normalen Person, sondern durch jemanden, der die normalen Gesetze überschritt.
Der nächste Schritt!
Glenda stand jetzt dicht vor dem Spiegel. Sie brauchte nur den Arm auszustrecken, um die Fläche berühren zu können, was sie auch ein wenig zögerlich tat, denn sie wusste nicht, was bei einem Phänomen wie diesem noch alles geschehen konnte.
Sie legte ihre Hand auf den Spiegel und atmete auf, als die den Widerstand spürte. Der Spiegel war völlig normal und kein transzendentales Tor in eine andere Welt hinein.
Irgendwie gab das Glenda Mut. Sie sah sich einer unnormalen Normalität gegenüber. Ein anderer Begriff fiel ihr nicht ein, und sie sah, dass sich die Frau innerhalb der Fläche nicht um einen Millimeter bewegt hatte.
Sie stand da wie ein Denkmal, und es war auch nicht zu erkennen, dass sie atmete. Kein Luftholen durch den Mund und auch keines durch die Nase, was Glenda nicht akzeptieren wollte. Sie entschloss sich, die andere Person zu locken. Sie war in den Spiegel hineingelangt, und sie würde auch wieder herauskommen müssen.
Aber wie konnte man sie dazu bewegen?
Glenda dachte noch darüber nach, als die fremde Person ihr den Gefallen tat.
Zuerst zuckte sie nur zusammen. Es war so etwas wie ein Startsignal.
Dann löste sich die Schneide der Axt vom Boden. Sie hatte die Waffe angehoben, und Glenda konnte sich vorstellen, dass die Frau jetzt bereit war, damit zuzuschlagen.
Ein Schlenker nach vorn.
Plötzlich war alles anders geworden. Die Axt verließ zuerst den Spiegel.
Glenda wich sicherheitshalber zurück, um nicht getroffen zu werden.
In diesem Moment dachte sie daran, dass sie keine Waffe bei sich trug.
Sie hätte sich von John oder Suko die Beretta geben lassen sollen.
Der Waffe folgte die Frau.
Ein Schritt reichte aus, um das Gefängnis zu verlassen. Sie musste ihr Bein nicht mal weit nach vorn setzen, um aus dem Spiegel zu treten.
Der Spiegel zerbrach nicht. Es klirrte nichts. Es flogen keine Scherben zu Boden, die im Teppich stecken geblieben wären. Es war auf eine bestimmte Weise alles normal.
Glenda spürte ihren Herzschlag jetzt deutlicher.
Sie wusste, dass diese Peson alles andere als eine Freundin oder Verbündete von ihr war. Das Gesicht behielt diesen kalten Ausdruck bei, der sich auch in den Augen zeigte, und wie die Frau ihre Waffe locker über den Boden schwingen ließ, das wies darauf hin, dass sie die Axt einpendelte, um gezielt zuschlagen zu können.
Dass Menschen von draußen in den Laden hineinschauen konnten, schien sie nicht zu stören. Sie ging auf Glenda zu, die immer weiter zurückwich und dabei sogar einen kleinen Bogen schlug. Es gab keine Gegenstände, die sie der Unbekannten hätte entgegenschleudern können. Dann wunderte sich Glenda darüber, dass die Unbekannte plötzlich stehen blieb und Glenda fixierte. Sie traf auch keinerlei Anstalten, die auf einen Angriff hingedeutet hätten, sie stand einfach nur da und wartete.
Glenda fasste sich ein Herz. Sie wollte eine Frage stellen, auch wenn sie nicht sicher war, dass sie eine Antwort erhalten würde.
»Wer bist du?«
»Angel!«
»Bitte?«
»Ich heiße Angel.«
»Und weiter?«
Sie deutete ein Kopfschütteln an. »Nichts weiter. Einfach nur Angel, das ist alles.«
»Ja, ich habe verstanden«, gab Glenda flüsternd zurück. »Aber du bist kein Engel, du heißt nur so.«
»Nein.«
»Was heißt nein?«
»Ich bin ein Engel.«
Es war ein Satz, der Glenda zwar nicht aus den Schuhen haute, ihr aber doch für
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