162 - Das Grauen aus der Baring Road
nistete noch immer der Wunsch, aufzugeben und allem ein Ende zu machen. Aber der warme, süße Geschmack in seinem Rachen hatte jede Vernunft weggewischt. In der momentanen Phase seiner Verwandlung spürte er nur das Verlangen, zu töten.
„Wir geben Ihnen genau zwei Minuten Zeit", dröhnte es von draußen. „Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!"
Im Nebenraum wurde ein Fenster geöffnet. Slikker vernahm es so deutlich, als stünde er unmittelbar davor. In Gedankenschnelle warf er sich herum. Seine Klauen bohrten sich in die nächste Tür, zerfetzten das Holz wie Zunder. Er sah eine Frau nach draußen springen. Der Mann, der sich hinter ihr aufs Fensterbrett schwang und dabei am Rahmen Halt suchte, wandte sich um; sein Gesicht verzerrte sich.
„Die Bestie ist da!" brüllte er aus Leibeskräften. „Schießt!"
Die Reißzähne erwartungsvoll gefletscht, stürmte Slikker vor. Fast gleichzeitig sprang der Mann. „Schießt!" brüllte er noch einmal.
Slikker erreichte das Fenster. Die Straße war abgeriegelt, drei Polizeifahrzeuge standen vor dem Gebäude. Beamte in kugelsicheren Westen und mit Gewehren bewaffnet, hatten sich zum Teil hinter den Autos verschanzt, während andere soeben dem Mann aus dem Sprungtuch halfen, mit dem sie ihn aufgefangen hatten.
Schüsse bellten auf. Unmittelbar neben Slikker schlugen Kugeln ins Mauerwerk und sirrten als Querschläger davon.
„Die Zeit ist abgelaufen", erklang es. „Kommen Sie endlich heraus, oder wir holen Sie."
Sollten sie es nur versuchen. Slikker fürchtete sich nicht. Im Gegenteil. Begierig wartete er auf seine nächsten Opfer.
„Einmal mußte es ja soweit kommen, daß Sie mit Ihrer Streitsucht Miß Pickford vergraulen." Trevor Sullivan stand in der Küchentür und ließ seinen Blick über den Herd und die sauber aufgeräumte Arbeitsplatte schweifen. Es sah nicht so aus, als sollte an diesem Tag noch irgend jemand irgend etwas zu essen bekommen.
„Sie kommt wieder", behauptete Dorian. „Der alte Besen könnte schon aus purer Neugierde nicht auf unsere Nähe verzichten. Oder glauben Sie, Miß Pickford käme ohne den Reiz des Übersinnlichen aus?"
„Offenbar schon. Sie hat uns vergessen, Dorian, schlicht und einfach vergessen."
„Vielleicht ist ihr etwas zugestoßen."
„Ihr…?" Sullivan betonte das eine Wort so eigenartig, als könne jedem jederzeit ein Unfall widerfahren, nur eben der Haushälterin nicht.
„Warum eigentlich nicht?" Dorian reagierte überempfindlich. „Aber das sage ich Ihnen, die kann sich auf einiges gefaßt machen, falls sie plötzlich wieder antanzt und so tut, als wäre absolut nichts geschehen."
Sullivan warf einen schmachtenden Blick in den Kühlschrank. „Wir brauchen das Fleisch nur noch zu würzen und anzubraten", sagte er und nahm eine gefüllte, mit Klarsichtfolie abgedeckte Schüssel heraus. „Dann haben wir wenigstens etwas im Bauch."
„Kommt überhaupt nicht in Frage", wehrte Dorian ab. „Miß Pickford hat ihren Aufgabenbereich und wir den unseren. Wenn es Ihnen recht ist, Trevor, gehen wir essen."
Der Chef der
Mystery
Press fuhr sich flüchtig mit der Zunge über die Lippen, bevor er nickte. „Potted Shrimps als Vorspeise", das waren in Butter eingemachte Garnelen, „dann Roastbeef und Yorkshire Pudding", ein typisch englisches Essen, „und als Nachspeise Stilton. Der ist und bleibt der beste aller englischen Käsesorten, und man ist ja schließlich Patriot. Was ist, was haben Sie?" unterbrach er sich, als er Dorians nachdenklichen Blick auf sich ruhen fühlte.
„Sie laden mich ein, Trevor? Von Ihrer Pension?"
„Nein, äh, ich dachte eher, Sie.."
Mit einer ungehaltenen Handbewegung schnitt Dorian ihm das Wort ab. „Mr. Sullivan glaubt also, wir schwimmen wieder im Geld", sagte er betont langsam. „Weil wir von unserem neuen Mäzen Peter Belmont ein erkleckliches Sümmchen erhalten haben. Aber Sie wissen ja, daß wir nicht unbeträchtliche Ausgaben haben, von der Instandhaltung des Castillo Basajaun angefangen… Außerdem haben wir es versäumt, im vergangenen Jahr deutsche Aktien zuzukaufen. Die inzwischen zu realisierenden Kursgewinne hätten uns einiges eingebracht."
„Schade also, daß sehl ehlenwelte Mistel Hojo zul Zeit nicht da ist", spöttelte Sullivan, ungeachtet der Tatsache, daß Hideyoshi Hojo Japaner war und nicht aus China stammte. „Er hätte uns sicher wieder in eines der chinesischen Restaurants in der Gerrad Street in Soho geführt."
„Was halten Sie von Lancashire Hot
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