1682 - Das Blutschiff
dass Justine Cavallo den Wagen verlassen hatte. Sie kam auf uns zu und Marvin bekam ein Stielauge. Solch eine Frau hatte er noch nie in seinem Leben zu Gesicht bekommen. Er öffnete auch den Mund, und wir hörten ein überraschtes »Ooohhh.« Dann fragte er: »Wer - wer - ist das denn? Gehört die zu Ihnen?«
»Ja.«
»Himmel, ist das ein Schuss.«
Es wunderte uns schon, eine derartige Antwort aus seinem Mund zu hören. Denn zu dieser Altersklasse gehörte er wahrlich nicht mehr. Aber die Blonde brachte ihn anscheinend auf Trab.
Neben uns blieb sie stehen. »Können wir los?«
»Ja«, sagte Suko, »ich brauche nur noch den Schlüssel.«
Den erhielt er auch. Marvin holte ihn hervor und konnte seinen Blick nicht von Justine wenden.
»Da werdet ihr ja viel Spaß haben«, sagte er und grinste.
Justine fragte. »Wer ist dieser Glotzer?«
»Er überlässt uns ein Boot.«
»Gut.« Sie tippte ihn an. »Dann bist du ja doch zu was zu gebrauchen, Alter.«
»Alter?« Er lachte meckernd. »Hier sind die Alten noch jung. Das könnte ich sogar beweisen.«
»Lieber nicht«, sagte ich und schob ihn zur Seite, wobei ich mich noch mal für seine Hilfe bedankte.
»Ja, ja, nichts für ungut. Erzählt mal, wie es gewesen ist mit der Blonden wenn ihr wieder hier anlegt.«
»Bestimmt nicht«, sagte ich und sprang ins Boot, in dem Sich Justine und Suko schon befanden. Marvin entsann sich wieder seiner Aufgabe und machte es los. Suko stand am Steuer. Der Motor tat es auch. Suko war mit seinem Sound zufrieden.
»Ich denke, wir haben eine gute Wahl getroffen«, bemerkte er, bevor wir von der Kaimauer ablegten…
***
Der alte Segler sah aus wie ein Standbild in der Bucht. Er war nicht auf Grund gelaufen, ein rostiger Anker hielt ihn in einem tieferen Gewässer fest. Das Meer zeigte an diesem Tag sein ruhiges Gesicht und die anrollenden Wellen brachten das Schiff kaum zum Schaukeln.
Es bot einen etwas trägen Anblick. Die Bordwand war nicht besonders hoch, aber ein Schwimmer hätte ihr Deck vom Wasser her nicht erreicht. Zwei Segel hingen im Augenblick schlaff herab. Aus der Ferne machte das Schiff einen verlassenen Eindruck. Das stimmte nicht.
Es gab eine Besatzung, und die bestand aus fünf Männern. Eigentlich waren sie zu sechst, aber einer fehlte, und das bereitete den anderen schon Sorgen.
»Warum ist Paul nicht hier?«
»Er hatte es versprochen.«
»Es wird immer später.«
»Wie lange sollen wir denn noch warten?«
»Dann müssen wir eben ohne ihn starten.«
, Immer wieder wurden diese oder ähnliche Sätze gesprochen, doch Antworten konnten nicht gegeben werden.
Die fünf Halbvampire waren unruhig. Das bezog sich nicht nur auf das Nichterscheinen ihres Freundes, sie spürten zudem, dass der Drang nach Blut in ihnen immer stärker wurde. Hätten sie jetzt ein Tier in der Nähe gehabt, sie hätten es geschlachtet und das Blut geschlürft. So aber mussten sie warten. Und irgendwelche Vögel zu fangen wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen. Ein Mann, dessen Haare lang bis in den Nacken wuchsen und trotzdem die Hälfte des Kopfes freiließen, stand am Bug und schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht mehr daran, dass Paul noch kam. Und so schaute er in den Dunst hinein, der jetzt noch recht schwach war, aber immer mehr Nachschub erhielt, sodass er sich bald zu einem richtigen Nebel verdichten würde.
Er hörte hinter sich Schritte. Als sie verstummten, drehte er sich um und schaute auf die Gestalt des Henkers. Er wurde so genannt, weil er mit einem Beil mordete, nachdem er das Blut seines Opfers getrunken hatte.
»Was ist?«
Der Henker nickte. »Er wird nicht kommen, denke ich.«
»Und weiter?«
»Wir sollten mit unserer kleinen Reise beginnen und das neue Ziel ansteuern. Der Nebel wird dichter. Er hat sich zudem stärker ausgebreitet und wird auch dort liegen, wo sich der Campingplatz befindet. Die Leute dort werden uns kaum zu Gesicht bekommen. Und wenn doch, dann sehen sie nur einen Schatten, der im Nebel liegt. Wir aber sind dann an Land und stillen unseren großen Durst.«
»Du willst nicht auf Paul warten?«
»Nein, er muss sich schon allein durchschlagen. Wir setzen die Segel. Ich übernehme das Ruder.«
Der Halbvampir mit den langen Haaren überlegte nicht mehr.
»Gut, wir stechen in See.«
»Darauf habe ich gewartet.« Der Henker grinste breit. »Heute bin ich scharf auf das Blut von Frauen. Mal sehen, was mir da über den Weg läuft…«
***
Manchmal muss man Glück haben, und das hatten wir.
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