1684 - So grausam ist die Angst
bestimmte Grenzen überschreiten kann. Das solltest du wissen.«
Rosy Mason musste darüber nicht erst groß nachdenken. Sie wusste, dass Uvalde recht hatte. Da brauchte sie nur an die letzte Nacht zu denken, als er ihr in einer anderen Form erschienen war.
Sie wusste nicht, was sie noch antworten sollte. Obwohl sie nicht allein auf dem Friedhof stand, kam sie sich sehr allein vor. Wie auf einer Insel und nur beobachtet von einer Gestalt, die es eigentlich nicht geben durfte. Sie existierte aber trotzdem und war wie ein böses Omen in dieser Welt erschienen.
Erneut überkam sie die Angst. Sie sah das Gefühl als Stachel an, der sich immer tiefer in ihren Körper bohrte, und sie wusste auch, dass sie so etwas nicht zulassen durfte. Wenn sie sich nicht wehrte, war diese Gestalt fähig, die Gewalt über sie zu bekommen, und davor fürchtete sie sich noch mehr.
Die Mitglieder der Familie ihrer toten Freundin waren noch nicht zu sehen. Ihr Abschied zögerte sich hinaus. Hilfe durfte sie von ihnen nicht erwarten, denn sie waren diejenigen, die den Mann geholt hatten, damit er seine Zeichen setzte.
Aber was wollte er von ihr?
Obwohl sie sich fürchtete, nahm sie allen Mut zusammen und stellte die Frage.
»Was wollen Sie? Was habe ich Ihnen getan? Ich will nicht mehr. Sie sollen verschwinden, verflucht!«
Darco Uvalde blieb gelassen. Überhaupt schien er niemals den Überblick zu verlieren. Auch jetzt gab er sich irgendwie gönnerhaft, und er nickte Rosy lässig zu.
»Ob und wann ich verschwinde oder nicht, das musst du schon mir überlassen. Du solltest mir dankbar sein, dass ich mich für dich interessiere.«
»Darüber kann ich nicht mal lachen«, erwiderte sie gepresst. »Für mich muss man sich nicht interessieren. Zumindest kein Mensch, der mir nicht sympathisch ist.«
»Das weiß ich.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. »Aber Tamara Chakow war dir doch sympathisch, oder irre ich mich da?«
»Nein, wir waren beste Freundinnen.«
»Ja, und jetzt ist sie tot.«
»Daran kann ich leider nichts mehr ändern«, erwiderte Rosy mit einer erstickt klingenden Stimme. »Ich werde sie niemals vergessen. Damit das klar ist.«
Uvaldes Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Das verlangt auch keiner von dir. Du sollst sie nicht vergessen, ganz im Gegenteil. Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Ich werde dir helfen, sie niemals zu vergessen.«
»Und wie soll das geschehen?«
»Das ist einfach zu beantworten.« Seine Augen leuchteten auf. »Ich werde euch wieder zusammenbringen. Dich und deine Freundin Tamara. Ich habe deine Trauer mitbekommen. Ich habe erlebt, wie du dich gequält hast. Und das darf nicht sein.«
»Hören Sie auf, mir so einen Quatsch zu erzählen.«
Der Schamane legte den Kopf zurück. Er lachte gegen den grauen Himmel. Danach sagte er: »Du hast es noch immer nicht begriffen. Ich bin in der Lage, bestimmte Gesetze auf den Kopf zu stellen. Ich kann das Unmögliche möglich machen, ich kann mit der Natur spielen. Genau das ist es, meine Liebe, das du akzeptieren solltest. Tamara ist gegangen, aber sie ist nicht weg …«
Rosy Mason hatte genau zugehört. Jedes Wort brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Was dieser Uvalde mit einer normal klingenden Stimme ausgesprochen hatte, war eine Ungeheuerlichkeit. Das konnte sie einfach nicht akzeptieren. Sie hätte es als Lügen und Spinnereien abtun müssen, das aber schaffte sie nicht.
Uvalde platzte bald vor Selbstsicherheit. Er streckte ihr seine rechte Hand entgegen.
»Was soll das?«
»Gib mir deine Hand.«
»Nein.« Rosy schüttelte heftig den Kopf. »Das will ich nicht. Ich will keinen Pakt mit Ihnen schließen, verflucht noch mal. Ich will für mich bleiben. Gehen Sie! Verschwinden Sie aus meinem Leben!«
Darco Uvalde hatte sich alles in Ruhe angehört. Er zeigte sich nicht beeindruckt und behielt sein Lächeln bei. Sogar die Augenbrauen hatte er angehoben, sodass sein Gesicht einen spöttischen Ausdruck annahm, als er die Antwort gab.
»Das geht nicht, Rosy. Ich werde nicht aus deinem Leben verschwinden. Ich habe mich für dich entschieden, und dabei wird es bleiben. Daran kannst du nichts ändern. Ich kann immer in deiner Nähe sein, obwohl du mich nicht siehst, und ich werde auch in deiner Nähe sein, das verspreche ich dir.«
Rosy schluckte. Sie hatte das Gefühl, innerlich zu brennen. Verzweifelt suchte sie nach einem Gegenargument, doch ihr fiel keines ein, und sie musste begreifen, dass sie gegen die Stärke des
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