1688 - Der Killer mit den Mandelaugen
Gay nicht aussuchen können. Diese Riesenschlange war in der Lage, Tiere und kleine Kinder zu verschlucken, aber sie hatte auch die nötige Kraft, um Menschen zu zerdrücken und ihnen die Knochen im Leib zu brechen.
Der Kopf schob sich näher.
Das Maul stand halb offen, und immer wieder schoss die Zunge hervor, während sich das Tier in Shaos Richtung bewegte. Wenn sie es recht einschätzte, war es vielleicht noch einen Meter von ihr entfernt, und es machte nicht den Eindruck, als wollte es die Richtung wechseln.
Shao hatte gar nicht bemerkt, dass ihr der Schweiß ausgebrochen war. Jetzt spürte sie es. Er klebte kühl auf ihrem Gesicht.
Sie stand auf!
Eine schlichte, eine simple Bewegung normalerweise, in ihrem Fall aber war es schwierig. Sie hatte sich zu heftig bewegt, und es bestand die Gefahr, dass sie nach vorn kippte.
Nur nicht auf den Boden fallen!, schoss es ihr durch den Kopf. Im letzten Moment warf sich Shao zurück und prallte wieder auf die Pritsche, wo sie sitzen blieb.
Die Schlange – es konnte eine Boa oder Anakonda sein – bewegte sich nicht mehr. Sie hatte Shao beobachtet und schien darauf zu lauern, was weiterhin geschah.
Für Shao stand fest, dass die Pritsche kein guter Platz war. Sie musste zusehen, dass sie sich zurückzog. Möglichst in die Nähe der Seitentür.
Sie ging davon aus, dass die Tür verschlossen war. Dennoch wollte sie sich überzeugen.
Shao ging jetzt vorsichtiger zu Werke. Sie stand, schaute nicht mehr auf die Schlange, sondern hüpfte mit ihren gefesselten Beinen in Richtung Seitentür.
Sie schaffte es.
Nach drei kleinen Sprüngen hatte sie die Tür erreicht und hielt dort an.
An die Schlange dachte sie zwar, schaute aber nicht hin. Ihr Blick glitt nach unten und sie sah eine Klinke. Ob sie das weiterbrachte, wusste Shao nicht. Jedenfalls war es einen Versuch wert.
Mit den gefesselten Händen drückte sie die Klinke nach unten. Das Pech blieb ihr treu. Sie bekam die Tür nicht auf, denn Marcia hatte sie abgeschlossen, und das war im vorderen Bereich bestimmt nicht anders. Doch da wollte sie nicht hin, um es zu probieren.
Shao drehte sich um. Auch das war nicht einfach mit den gefesselten Füßen. Auf keinen Fall wollte sie hinfallen, dann wäre sie für die Schlange die perfekte Beute gewesen.
Das Tier war noch da. Und es hatte sich näher herangeschoben. Der Körper lag dicht vor ihren Füßen. Der Kopf war aufgerichtet, die Zunge huschte Shao entgegen, als sollte sie begrüßt werden.
Was passiert jetzt? Was kann ich noch tun? Die Fragen schossen ihr durch den Kopf, und sie begriff, dass die Schlange nur auf eine Bewegung ihrerseits wartete.
Noch hütete sich Shao davor. Ihr war allerdings auch klar, dass sie nicht hier stundenlang reglos stehen konnte. Da musste etwas passieren, und das lag einzig und allein an ihr.
Sie dachte darüber nach, mit einem Sprung den Schlangenkörper zu überwinden, um an einer anderen Stelle etwas mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Shao kam nicht mehr dazu. Die Schlange war schneller. Es sah langsam aus, wie sie sich bewegte, und doch war sie so schnell, dass Shao ihr nicht ausweichen konnte.
Die Schlange erfasste ihre Beine. Sie ringelte sich darum, Shao spürte den Druck und danach den Zug nach vorn.
Vor Schreck schrie sie auf, als sie fiel. In einer Reflexbewegung brachte sie die gefesselten Hände nach vorn und dämpfte so den Aufprall auf der Pritsche ab. Dennoch prallte sie mit dem Kinn auf das Holz und verspürte einen heftigen Schmerz, der bis unter ihre Schädeldecke stach. In den folgenden Sekunden war sie nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Sie hatte mit sich selbst genug zu tun.
Nicht aber die Schlange. Die sah den Rücken der Chinesin vor sich und glitt mit einer geschmeidigen Bewegung auf den Körper …
***
Es war gut, dass wir Anita Huen mitgenommen hatten, so blieb uns eine lange Suche erspart. An der Südostecke fuhren wir in den Park hinein und erreichten wenig später die Serpentine Road. Sie war nach dem See The Serpentine benannt worden, der von seiner Form einer Banane glich und natürlich jetzt im Sommer ein großer Anziehungspunkt für Menschen war, die sich in der grünen Lunge Londons erholen wollten. Da nahm man auch die Kinder mit. Da wurden die großen Rasenflächen zu Spielplätzen für Familien, und so hatte man seinen Spaß in der freien Natur.
»Wie weit müssen wir?«, fragte ich.
»In der Mitte des Sees gibt es ein Stück vom Ufer entfernt einen Parkplatz. Dort kann man unter
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