170 - Die Scharen der Nacht
Problem ganz einfach lösen, indem sie nach unten ging. Dazu musste sie maximal drei Wachen erledigen – falls sie ihr gerade im Wege standen. Und zwar lautlos.
Nein, vier… Die erste – der Sheytan mochte wissen, wo sie herkam – stand nämlich schon auf der Schwelle einer Tür, hinter der eine Treppe nach unten führte. Das Sternenlicht offenbarte das schwarze Gesicht der Frau, die wohl gekommen war, um hier oben jemanden abzulösen.
Suúna verbiss sich einen Fluch.
In der Rechten der Wache funkelte ein Säbel.
Suúna sah einen sich zum Schrei öffnenden Mund. Sie reagierte reflexartig, wirbelte halb herum und streckte das rechte Bein. Die Stiefelferse traf die Frau am Kinn.
Sie flog nach hinten. Ihr Hinterkopf schlug knirschend gegen die Steinwand. Der Säbel entglitt ihrer kraftlos gewordenen Hand.
Suúna hörte das Metall zu Boden scheppern. Obwohl sie davon ausging, dass das Genick der Wache gebrochen war, zückte sie ihre Waffe. Bevor sie jedoch zustoßen konnte, rutschte die Ablösung an der Wand entlang nach unten, blieb auf den Steinplatten liegen und rührte sich nicht mehr.
Suúnas Herz pochte wie verrückt. Übelkeit breitete sich in ihr aus. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, schon wieder jemanden umgebracht zu haben. Es fiel ihr zwar nicht schwer, Menschen auszuschalten, die anderen das Leben nehmen wollten, aber sie war Diebin von Beruf. Sie tötete nicht für Geld.
Wie hieß es doch? Wer vom Schwert lebt, kommt durch das Schwert um. Dies galt ebenso für sie wie für die Wache.
Suúna zog die schlaffe Gestalt ins Haus, legte sie ab und schloss die Tür. Ein rascher Blick in die Runde. Sie befand sich in einem von Wandfackeln erhellten Treppenhaus.
Es dauerte einige Zeit, bis Suúnas Herzklopfen sich legte.
Schließlich beugte sie sich über das Geländer und spitzte die Ohren.
Irgendwo da unten huschten Schatten hin und her.
War dort das Wachlokal? Wurden auch die anderen Posten jetzt abgelöst? Irgendwann würde der Wachhabenden auffallen, dass ein Posten nicht zurückgekommen war. Sie würde jemanden hinaufschicken. Wenn dieser Jemand die Wache fand, die sie gerade ausgeschaltet hatte…
Suúna schaute sich um. Wo konnte sie die Besinnungslose verstecken? Hier oben war keine Tür. Vielleicht unten?
Sie wuchtete die schlaffe Gestalt über ihre Schulter. Die Frau wog nicht viel. Suúna schlich die Treppe hinab. Ihre Stiefel waren aus weichem Leder und machten keine Geräusche.
Sie hatte sich nicht geirrt: Eine Etage tiefer stieß sie auf einen langen, nach rechts und links verlaufenden Gang. So weit es im Halbdunkel zu erkennen war, wichen in regelmäßigen Abständen Türen ab. Vermutlich führten sie zu den Zellen der Mönche, die einst hier gelebt hatten.
Suúna versuchte ihr Glück und fand es schon an der ersten Tür: Sie huschte hinein und legte die Reglose in die Ecke hinter dem toten Winkel der Tür.
Bevor sie wieder in den Gang trat, wartete sie einige Minuten, bis sie glaubte, dass auch die anderen Posten nun abgelöst waren. Dann ging es mit angespannten Muskeln weiter nach unten.
Dass der Nachthimmel langsam grau wurde, gefiel Suúna wenig: Sie musste sich beeilen.
Die nächste Etage war so still und leer wie die zuvor. Auf dem ins Parterre führenden Treppenabsatz fiel Suúnas Blick auf eine Tür, die sich gerade öffnete. Sie duckte sich und hielt die Luft an.
Zwei Gestalten traten aus einem Raum. Hinter ihnen, im Licht einer einsamen Fackel, glitzerte etwas. Das Objekt ihrer Begierde…?
Suúnas Atem ging schneller vor Aufregung, als die beiden Bewaffneten sich entfernten, ohne die Tür abzuschließen. Sie huschte die letzten Stufen hinab und lugte um die Ecke. Die Vermummten bogen neben der Kammer, aus der sie gekommen waren, in einen Raum ab. Leises Stimmengemurmel deutete an, dass sie das Wachlokal gefunden hatte.
Suúna musterte die Tür, hinter der sie ihre Beute vermutete.
Dann drückte sie ein Ohr ans Holz und lauschte.
Wie eigenartig, dass kein Posten vor der Tür stand…
Andererseits lag das Wachlokal gleich nebenan. Nur ein Narr würde es wagen, in diesen Raum einzudringen, um den Stein zu stehlen. Oder ein Meisterdieb, der so gerissen war, dass…
Ihr kam ein Gedanke, die ihre Hochstimmung schlagartig dämpfte: Angenommen – nur mal angenommen –, der Edelstein ist so schwer, dass ich ihn allein gar nicht wegschleppen kann?
Hatte der Fischer nicht behauptet, der Klunker sei so groß wie ein Fass?
Nun ja, er hatte nicht gesagt, ob er ein
Weitere Kostenlose Bücher