1798 - Drei Henker für Sinclair
auch dabei. Ich wollte jetzt wissen, was wirklich los war. Es war gut, dass ich mich erinnerte, denn ich wusste, welche der Türen ich öffnen musste.
Vor ihr blieb ich stehen. Meine Hand lag bereits auf der Klinke, doch ich drückte sie nicht nach unten.
Etwas anderes geschah.
Mich durchströmte eine andere Kraft oder Macht. Es war ein Brausen, das sich in meinem Innern ausbreitete. Ich schaute nach vorn und direkt auf die Tür, die sich dann auflöste. Mein Blick war frei. Plötzlich war ich durch nichts mehr gehemmt. Ich schaute nach vorn, ich blickte in eine andere Welt, ich sah einen Keller, ich sah den Keller hier und auch den Raum hinter der Tür.
Und ich sah einen Jungen.
Vom Alter her vielleicht zehn, elf Jahre alt. Er hatte dunkelblondes Haar. Er saß im Keller und wirkte irgendwie verloren, wie bestellt und nicht abgeholt.
Ach ja, der Junge war ich!
***
Erinnerungen
Es war ein schöner Tag gewesen. Ich hatte im Freien gespielt, bis meine Mutter mich gerufen hatte, weil ich essen sollte. Das gefiel mir zwar nicht, ich maulte auch herum, aber meine Mutter setzte sich durch. Sie berichtete davon, dass mein Vater noch am Abend Besuch bekommen würde. Deshalb musste früher gegessen werden.
»Gehen die dann wieder in den Keller?«
»Ich glaube schon.«
»Und was machen die da?«
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Das kann ich dir auch nicht sagen, sie treffen sich eben. Sie reden miteinander, als wären sie der Nabel der Welt.«
»Sind denn auch Frauen mit dabei?«
»Nein, es sind nur Männer.«
»Und Daddy?«
»Genau.«
»Dann ist er bestimmt der Boss.«
»Das weiß ich nicht, Kind. Setz dich schon mal hin, das Essen ist so gut wie fertig.«
»Erst hole ich mir was zu trinken.«
»Ist auch okay.«
Im Kühlschrank fand ich immer Saft. Von der Flasche floss er in ein Glas, das ich natürlich sehr hoch füllte und es dann auf den Tisch stellte.
Meine Mutter holte die Teller. Drei brauchten wir, denn mein Vater würde noch kommen. Er erschien immer auf den letzten Drücker, und so war es auch heute. Das Essen stand schon auf dem Tisch, da öffnete sich die Tür und mein Vater Horace F. trat ein. Wie immer lächelte er. Und wie immer stellte er die gleiche Frage.
»Komme ich zu spät?«
»Nein, du kommst genau richtig, Dad.«
Er strich über mein Haar. »Wenn du das sagst, dann muss das stimmen, mein Junge.« Er versuchte, in den Topf zu schauen, den meine Mutter auf den Tisch gestellt hatte.
Darin befand sich ein Gulasch, das sie gern kochte und auch scharf würzte. Sie füllte ihrem Mann etwas auf den Teller und reichte den Topf rüber. Dann war ich an der Reihe. Zum Schluss war sie selbst dran. Wir wünschten einen guten Appetit, und den hatte wirklich jeder von uns. Das Fleisch schmeckte, es war perfekt gewürzt, und eine ungarische Hausfrau hätte ihn nicht besser zubereiten können.
Wir lobten die Frau des Hauses, die aber abwinkte und davon nichts hören wollte.
»Aber es schmeckt toll, Ma. Auch die Nudeln sind klasse.«
»Jetzt ist es gut.«
Vom Gulasch sprachen wir nicht mehr. Dafür redeten wir über andere banale Dinge, wobei ich mich zurückhielt, denn mir gingen andere Gedanken durch den Kopf.
Ich dachte nur an das, was in dieser Nacht noch geschehen sollte. Mein Vater wollte sich mit Leuten treffen, um mit ihnen im Keller was zu besprechen.
Aber was?
Ich hätte es zu gern gewusst, nur traute ich mich nicht, meinen Vater direkt zu fragen. Ich aß meinen Teller leer und sprach Dad dann an.
»Ich habe gehört, dass wir heute wieder Besuch bekommen.«
Da lachte er mir ins Gesicht. »Das stimmt nicht ganz. Wir bekommen keinen Besuch, ich bekomme Besuch.«
»Stimmt.«
»Das ist schon ein Unterschied.«
»Und was sind das für Leute?«
Horace F. Sinclair winkte ab. »Das sind oft die unterschiedlichsten Menschen, die allesamt ein Ziel haben.«
Jetzt war ich aber gespannt. »Welches denn?«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Ich kann deine Neugierde ja verstehen, aber für eine Antwort bist du noch zu jung. Du würdest sie nicht verstehen.«
Da war es wieder. Immer war ich zu jung. Ich spürte, wie ich innerlich in Rage geriet, mich aber beherrschte und schwieg. Dann ärgerte ich mich darüber, dass mein Gesicht rot geworden war, wie mein Vater etwas spöttisch bemerkte.
»Nie darf man was«, beschwerte ich mich, »immer bin ich zu jung. Andere Kinder dürfen viel mehr.«
»Oooh …«, dehnte meine Mutter, während mein Vater grinste. »Das habe ich schon so oft
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