1798 - Drei Henker für Sinclair
Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Ich hatte immer ein tolles Verhältnis zu meinem Vater gehabt, aber wir waren uns auf einem bestimmten Gebiet auch fremd geblieben. So hatte ich eigentlich nicht viel über ihn gewusst, was seinen Beruf anging und auch sein privates Leben.
Er war nicht oft weg gewesen. Wenn, dann war er zu Sitzungen gegangen oder auch zu einem Kongress gefahren. Das war auch alles. Ich hatte es hingenommen, und auch meiner Mutter hatte es nichts ausgemacht. Ich hatte mich entwickeln können und hatte eigentlich den gleichen Beruf ausüben wollen wie mein Vater. Dazu war es dann nicht gekommen, und auch als ich einen anderen Weg eingeschlagen hatte, war kein böses Wort gefallen.
Und jetzt das.
Ich holte tief Luft, weil ich das Gefühl hatte, mich von allem Ballast befreien zu müssen, was ich natürlich nicht schaffte. Ich würde weiterhin nachdenken müssen und so einen Weg finden, um den drei Henkern auf der Spur zu bleiben.
Was sie bei meinem Vater nicht geschafft hatten, wollten sie bei mir versuchen. Aber warum wollten sie mit ihm abrechnen? Darauf wollte ich eine Antwort haben, die ich mir selbst nicht geben konnte. Der Gedanke brachte mich auf einen anderen. Gab es noch einen Menschen, der mir mehr über meinen Vater erzählen konnte? Der nicht gestorben war und auch nichts vergessen hatte?
Dieser Gedanke war nicht mal so schlecht. Er beflügelte mich sogar und vertrieb die Düsternis in mir.
Aber wer war derjenige? Wer konnte mir mehr über meinen Vater sagen? Da musste ich nachdenken, und das tat ich auf dem Weg zu meinem Auto. Ich musste wieder abtauchen in andere Zeiten, die zum Glück nicht zu weit zurücklagen.
Meine Eltern hatten in Lauder gewohnt, sie waren dort sehr angesehen gewesen, und sie hatten auch Freundschaften geschlossen, aber wie ich wusste, hatte mein alter Herr nie viel über seine Vergangenheit berichtet.
Er war als Ruheständler aufgetreten und hatte sich wohl mal als Ratgeber hervorgetan, das war aber auch alles gewesen.
Nein, wenn ich etwas erfahren wollte, dann musste ich schon in seine Londoner Zeit zurückgehen. Er hatte Freunde gehabt, aber auch Geschäftspartner und Kollegen, die ihm sympathisch gewesen waren, aber es musste jemand sein, dem er vertraut hatte.
Wer war das gewesen?
Ich dachte hin und her, und ich wusste, dass es den einen oder anderen gegeben hatte.
Und dann purzelten die Namen plötzlich aus meinem Kopf. Es waren recht wenige, und plötzlich zuckte ich während des Gehens zusammen.
Einer war mir eingefallen, und an dem blieb ich gedanklich hängen.
Sir Gerald Lockwood.
Ein Kollege meines Vaters. Einer, der auch als Anwalt gearbeitet hatte und später dann Richter geworden war. Die beiden hatten sich oft getroffen. Aber nie im Keller, sondern immer im Wohnraum meiner Eltern, die auch hin und wieder mit den Lockwoods essen gegangen waren.
Sir Gerald Lockwood, der Richter, der Mann, mit dem sich mein alter Herr so gut verstanden hatte, lebte noch. Das wusste ich genau, und ich würde ihn so schnell wie möglich treffen, wobei ich mir sicher war, dass er sich einverstanden erklärte.
Da mir dieser Name eingefallen war, ging es mir wieder etwas besser. Ich wollte in den restlichen Stunden der Nacht noch nachdenken, was ich über Lockwood wusste.
Zuerst mal nach Hause fahren, das nicht so luxuriös war wie das meiner Eltern. Aber ich war da nicht anspruchsvoll, denn so oft war ich nicht zu Hause. Wäre ich verheiratet gewesen, hätte ich mir eine andere Wohnung gesucht.
Diesmal sprach mich niemand an, als ich das Gelände betrat. Da standen die Autos noch immer dicht an dicht, und auch mein Rover war nicht gestohlen worden.
Ich ging auf ihn zu, wollte die Tür öffnen, als es passierte. Mit dem linken Fuß trat ich gegen etwas Weiches, Nachgiebiges. Es war irgendwie seltsam, passte auch nicht hierher, und ich senkte den Blick, um zu wissen, was mir da passiert war.
Mein Blick fiel auf ein Gesicht. Es war blass, es bewegte sich nichts darin, und auch der Blick war starr.
Um mehr sehen zu können, holte ich meine Lampe hervor und strahlte das Gesicht an.
Mein Verdacht bestätigte sich.
Ich kannte den Mann.
Es war der Parkplatzwächter. Er lag vor meinen Füßen. Man hätte ihn auch bewusstlos schlagen können, aber das hatte man nicht getan. Unter seinem Kinn sah ich das Blut. Da wusste ich, dass man ihm die Kehle durchgeschnitten hatte …
***
Ich blieb auf der Stelle stehen wie vereist. In meinem Kopf war es leer
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