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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Rönt­gen­auf­nah­me. Bob saß zu­rück­ge­lehnt in dem Stuhl. Sein Kopf lag auf dem Pols­ter der Stüt­ze. Mit sei­nen Hän­den um­klam­mer­te er die Leh­nen des Stuh­les. Ver­geb­lich ver­such­te er, die blit­zen­den In­stru­men­te nicht zu se­hen, die hin­ter den Glas­schei­ben stan­den. Dicht vor ihm hing der Boh­rer. Fast vor sei­ner Na­se.
    Der Arzt dreh­te sich lang­sam zu ihm um.
    »Wie alt, Mr. Ter­rill, sag­ten Sie, daß Sie sind?«
    Die Fra­ge kam un­er­war­tet. Bob setz­te sich auf­recht und nahm den Kopf von der Stüt­ze.
    »Sechs­und­drei­ßig.«
    Der Zahn­arzt nick­te lang­sam und hing das Ne­ga­tiv, das von ei­ner Klam­mer ge­hal­ten wur­de, an einen Na­gel. Dann be­gann er in ei­ni­gen Käs­ten zu stö­bern.
    »Ist mit dem Zahn was nicht in Ord­nung?« frag­te Bob. »Ist er ge­bro­chen? Ei­ne Ent­zün­dung?«
    Dr. Hau­fen wand­te sich ihm zu. Er sag­te:
    »Ihr Zahn stirbt ab. Der Nerv ist er­le­digt und die Kno­chen­haut ge­schwächt. Er muß her­aus, ganz klar.«
    »Raus?« Bob starr­te ihn an. »Ein Schnei­de­zahn? Aus­ge­rech­net vorn?« Er über­dach­te die Mög­lich­kei­ten. »Ich wer­de aber doch kei­ne Lücke ha­ben? Si­cher kön­nen Sie mir einen falschen Zahn ein­set­zen, Herr Dok­tor? Wie soll ich sonst mei­nen Be­ruf aus­üben, mit ei­ner Lücke im Ge­biß? Ich kom­me mit vie­len Leu­ten zu­sam­men, muß viel lä­cheln und …«
    »Na­tür­lich kann ich Ih­nen künst­li­che Zäh­ne ein­set­zen«, nick­te der Arzt. »Aber auf lan­ge Sicht ge­se­hen wird es ein­fa­cher und bil­li­ger sein, wenn wir da­mit war­ten, bis auch die an­de­ren Zäh­ne ge­zo­gen sind.«
    Bob hat­te das Ge­fühl, in sei­nem Ma­gen sei nicht al­les in Ord­nung.
    »Die an­de­ren?« stam­mel­te er. »Wol­len Sie da­mit sa­gen, daß noch an­de­re Zäh­ne ge­zo­gen wer­den müs­sen?«
    Dr. Hau­fen schi­en einen Ent­schluß ge­faßt zu ha­ben. Er kam et­was nä­her und blin­zel­te ver­trau­lich.
    »Mr. Ter­rill«, sag­te er sanft, »Sie ha­ben ei­ne noch sehr jun­ge Frau, kaum drei­ßig Jah­re alt. Ich ha­be größ­tes Ver­ständ­nis da­für, daß Sie da­her Ih­re äu­ße­re Er­schei­nung ein we­nig – hm, sa­gen wir an­ge­paßt ha­ben. Ein Mann ist so jung, wie er sich fühlt, das ist völ­lig rich­tig. Aber ei­ne ma­the­ma­tisch fest­ge­leg­te Tat­sa­che läßt sich nicht um­sto­ßen. Die Jah­re al­lein zäh­len, nicht nur das Aus­se­hen …«
    »Einen Au­gen­blick, Dok­tor!« Bob un­ter­brach den Arzt und setz­te sich nun ganz auf­recht. »Was wol­len Sie ei­gent­lich? Kön­nen Sie nicht deut­li­cher wer­den?«
    Auf dem Ge­sicht des Zahn­arz­tes spiel­te ein nach­sich­ti­ges Lä­cheln, als er das Ne­ga­tiv an der Klam­mer vom Na­gel nahm und de­mons­tra­tiv in die Luft hielt.
    »Aus ver­ständ­li­chen Grün­den ver­sucht man oft, an­de­re Men­schen zu täu­schen, aber Rönt­gen­strah­len las­sen sich nicht be­trü­gen, und Rönt­gen­bil­der lü­gen auch nicht.«
    »Ich ver­ste­he kein Wort«, sag­te Bob und fühl­te sich ganz elend. »Was wol­len Sie ei­gent­lich von mir?«
    »Ich ver­su­che Ih­nen nur zu er­klä­ren, daß Ih­re Be­haup­tung, erst sechs­und­drei­ßig Jah­re alt zu sein, an­ge­sichts die­ser ent­wi­ckel­ten Rönt­gen­auf­nah­me ge­ra­de­zu lä­cher­lich ist.«
    »Aber Dok­tor – ich bin sechs­und­drei­ßig!«
    »Nicht, wenn es hier­nach geht.« Dr. Hau­fen hielt ihm das Ne­ga­tiv dicht vor die Au­gen. Bob starr­te auf die grau­wei­ßen Kon­tu­ren, die sich kaum ge­gen den schwar­zen Hin­ter­grund ab­ho­ben, dann schüt­tel­te er den Kopf.
    »Da­von ver­ste­he ich nichts. Ich be­grei­fe über­haupt nicht, wor­auf Sie hin­aus­wol­len.«
    »Al­so gut«, sag­te Hau­fen, »dann will ich es Ih­nen er­klä­ren. Sie be­haup­ten, sechs­und­drei­ßig Jah­re alt zu sein, aber Sie ha­ben die Zäh­ne ei­nes Man­nes, der gut und gern dop­pelt so alt sein muß.«
    Bob ließ die Arm­leh­nen los und sank zu­rück, bis sein Kopf auf der Stüt­ze Halt fand. Er starr­te Hau­fen an.
    »Ich bin sechs­und­drei­ßig …«
    Der Arzt lä­chel­te nach­sich­tig und dreh­te sich um. Sorg­fäl­tig wähl­te er sei­ne In­stru­men­te aus. Als er wie­der sprach, schi­en sein

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