18 Gänsehaut Stories
Röntgenaufnahme. Bob saß zurückgelehnt in dem Stuhl. Sein Kopf lag auf dem Polster der Stütze. Mit seinen Händen umklammerte er die Lehnen des Stuhles. Vergeblich versuchte er, die blitzenden Instrumente nicht zu sehen, die hinter den Glasscheiben standen. Dicht vor ihm hing der Bohrer. Fast vor seiner Nase.
Der Arzt drehte sich langsam zu ihm um.
»Wie alt, Mr. Terrill, sagten Sie, daß Sie sind?«
Die Frage kam unerwartet. Bob setzte sich aufrecht und nahm den Kopf von der Stütze.
»Sechsunddreißig.«
Der Zahnarzt nickte langsam und hing das Negativ, das von einer Klammer gehalten wurde, an einen Nagel. Dann begann er in einigen Kästen zu stöbern.
»Ist mit dem Zahn was nicht in Ordnung?« fragte Bob. »Ist er gebrochen? Eine Entzündung?«
Dr. Haufen wandte sich ihm zu. Er sagte:
»Ihr Zahn stirbt ab. Der Nerv ist erledigt und die Knochenhaut geschwächt. Er muß heraus, ganz klar.«
»Raus?« Bob starrte ihn an. »Ein Schneidezahn? Ausgerechnet vorn?« Er überdachte die Möglichkeiten. »Ich werde aber doch keine Lücke haben? Sicher können Sie mir einen falschen Zahn einsetzen, Herr Doktor? Wie soll ich sonst meinen Beruf ausüben, mit einer Lücke im Gebiß? Ich komme mit vielen Leuten zusammen, muß viel lächeln und …«
»Natürlich kann ich Ihnen künstliche Zähne einsetzen«, nickte der Arzt. »Aber auf lange Sicht gesehen wird es einfacher und billiger sein, wenn wir damit warten, bis auch die anderen Zähne gezogen sind.«
Bob hatte das Gefühl, in seinem Magen sei nicht alles in Ordnung.
»Die anderen?« stammelte er. »Wollen Sie damit sagen, daß noch andere Zähne gezogen werden müssen?«
Dr. Haufen schien einen Entschluß gefaßt zu haben. Er kam etwas näher und blinzelte vertraulich.
»Mr. Terrill«, sagte er sanft, »Sie haben eine noch sehr junge Frau, kaum dreißig Jahre alt. Ich habe größtes Verständnis dafür, daß Sie daher Ihre äußere Erscheinung ein wenig – hm, sagen wir angepaßt haben. Ein Mann ist so jung, wie er sich fühlt, das ist völlig richtig. Aber eine mathematisch festgelegte Tatsache läßt sich nicht umstoßen. Die Jahre allein zählen, nicht nur das Aussehen …«
»Einen Augenblick, Doktor!« Bob unterbrach den Arzt und setzte sich nun ganz aufrecht. »Was wollen Sie eigentlich? Können Sie nicht deutlicher werden?«
Auf dem Gesicht des Zahnarztes spielte ein nachsichtiges Lächeln, als er das Negativ an der Klammer vom Nagel nahm und demonstrativ in die Luft hielt.
»Aus verständlichen Gründen versucht man oft, andere Menschen zu täuschen, aber Röntgenstrahlen lassen sich nicht betrügen, und Röntgenbilder lügen auch nicht.«
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Bob und fühlte sich ganz elend. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Ich versuche Ihnen nur zu erklären, daß Ihre Behauptung, erst sechsunddreißig Jahre alt zu sein, angesichts dieser entwickelten Röntgenaufnahme geradezu lächerlich ist.«
»Aber Doktor – ich bin sechsunddreißig!«
»Nicht, wenn es hiernach geht.« Dr. Haufen hielt ihm das Negativ dicht vor die Augen. Bob starrte auf die grauweißen Konturen, die sich kaum gegen den schwarzen Hintergrund abhoben, dann schüttelte er den Kopf.
»Davon verstehe ich nichts. Ich begreife überhaupt nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Also gut«, sagte Haufen, »dann will ich es Ihnen erklären. Sie behaupten, sechsunddreißig Jahre alt zu sein, aber Sie haben die Zähne eines Mannes, der gut und gern doppelt so alt sein muß.«
Bob ließ die Armlehnen los und sank zurück, bis sein Kopf auf der Stütze Halt fand. Er starrte Haufen an.
»Ich bin sechsunddreißig …«
Der Arzt lächelte nachsichtig und drehte sich um. Sorgfältig wählte er seine Instrumente aus. Als er wieder sprach, schien sein
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