1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
immer erneuendes Zaubergespinst spannte es sich zugleich vor die Füße und webte jeden Schritt in die arglistigen Schlingen seiner losen Fäden ein. Nicht eherne, unzerreißbare Fesseln legte es um den Fuß, aber es erschöpfte in der tausendfach wiederholten Anstrengung, das leichte Band zu sprengen. Langsam war die Folter, aber das Opfer gewiß; es stürzte nicht unter einem zermalmenden Keulenschlage, sondern es sank allmählich unter einer Bürde zusammen, die, von Sekunde zu Sekunde nur um Atome wachsend, endlich aber doch jedes Maß der Kräfte weit überragte.
Bernhard suchte das stumme Grauen, welches er in seiner eigenen Brust empfand und in den Zügen aller seiner Kameraden las, wegzuscherzen. »Ich wollte, die Fabel im Herodot hätte recht,« sprach er, »wo es heißt, in Szythien verdichtete sich die Luft häufig durch herabflatternde Federn so, daß ein Reiter die Ohren seines Pferdes nicht mehr sehen könne. Nicht übel wär's für das Biwak, wenn wir Eiderdaunen genug vorfänden, um uns ein warmes Nest zu machen!« Rasinski, der ernst blieb, aber die mutige Haltung seiner Züge nicht verlor, freute sich, daß Bernhard seinem Bestreben, eine rüstige Stimmung aufrechtzuerhalten, entgegenkam. »Haben die Alten das wirklich geglaubt?« fragte er lächelnd. – »Herodot nicht so ganz; wenigstens hat der alte Graubart etwas von der Wahrheit gewittert«, antwortete Bernhard. »Er konjekturiert, es möge wohl Schnee sein, wovon die Thrazier fabelten, denn er habe es auch einmal schneien sehen!« – »Einmal! Der glückliche Ionier!« rief Ludwig fast unwillkürlich aus. – »Es ist mir auch so lieber,« antwortete Rasinski absichtlich laut, »ich würde schlechte Soldaten haben, wenn es Eiderdaunen schneite! Sie wären unser Kapua. Mit den Kriegern, die sich durch den Schnee der Alpen die Bahn gebrochen hatten, schlug der alte Afrikaner die Römer vom Tizinus bis Kannä!« – »Nun das Kapua haben wir vor der Hand nicht zu fürchten,« warf Bernhard hin »hier sieht's nicht nach Orangenhainen aus.«
Indessen verdichteten sich die Schneemassen mit jeder Minute. Nicht zufrieden mit denen, die er aus den Gewölken herabschüttelte, jagte der Sturm sie auch von dem Boden empor und stäubte sie so den Kriegern ins Angesicht. Von allen Feldern und Hügeln trieb er die wirbelnden Säulen heran und füllte die Schluchten und gesenkten Stellen aus, durch die sich die Straße zog. »Man sollte glauben, so viele Tausende würden sich bald eine feste Bahn treten,« sprach Ludwig, »aber wir finden vor uns fast keine Spur und hinter uns lassen wir auch keine zurück, so schnell verweht sie der Sturmwind und bedeckt sie der neu fallende Schnee.«
Der Zug stockte. Anfangs glaubte Rasinski, es sei nur ein Aufenthalt von einigen Augenblicken, wie dies bei langen Marschkolonnen öfter eintritt. Doch bald merkte er, daß ein ernsthaftes Hindernis obwalten müsse, denn die Stockung dauerte länger und länger. Ein Adjutant kam endlich auf seinem ermatteten Pferde mühselig durch den Schnee herangaloppiert und redete Rasinski an. »Ich bringe Ihnen den Befehl, mein Oberst, sofort die Hälfte Ihrer Pferde zu stellen, um sie vor die Geschütze zu spannen. Sie können nicht mehr vorwärts in dem tiefen Schnee. Vor uns liegt ein Defilee, wo der Sturm ihn mannshoch zusammengeweht hat. Die Sappeurs müssen uns erst Bahn machen.« – »Die Kavallerie soll absitzen?« fragte Rasinski mit betroffenem Erstaunen.– »Es ist eine harte Notwendigkeit, aber der Befehl geht durch alle Regimenter. Sogar die Gardedukorps müssen anspannen und zu Fuß gehen. Sättel und Gepäck bleiben auf den Pferden; die Leute können sie begleiten.«
Rasinski sah ein, daß er sich nicht weigern könne; doch kostete es ihn eine schwere Überwindung, seine des Gehens ungewohnten Leute ihrer Pferde zu berauben. Allein er ließ nichts von diesen Empfindungen merken, sondern behandelte diesen Fall, wie alle, mit Ernst, aber als etwas Gewöhnliches. Ohne Zögern kommandierte er daher: »Erste und zweite Schwadron! In Sektionen, rechts schwenkt! Marsch!« und ließ sie aus dem Regiment hinaus in die Straße reiten. Jetzt schwenkten sie in halben Sektionen ein und folgten nun unter Rasinskis Führung dem vorreitenden Adjutanten. Sie mußten ihre Pferde je zu zwölf und zwölf an die Kanonen der nächsten Batterie spannen, was freilich in der Not nur mit Seilen und schlechten Bruststelen geschehen konnte. Die Leute gingen zu Fuß nebenher. »Ihr tut heute die
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