1861 - Bomben für den Brutkosmos
überkommen in Gestalt einer göttlichen Erleuchtung ...?"
„Der Philosoph hat sie uns geschenkt", antwortete ich gelassen.
Dieser Mann konnte mich nicht erschüttern. Seine Position war unhaltbar.
„Und vorher hast du ganz anders gedacht und empfunden?"
Ich fragte mich, warum er dieses Gespräch mit mir suchte. Er war Arzt, kein Seelsorger. Mochte er für meinen Körper tun, was er für richtig hielt - schaden würde er mir weder wollen noch können.
Aber er versuchte auch, an meiner Psyche herumzufingern. Das ärgerte mich ebenso, wie es mich verwunderte. Was ging es ihn an?
„Das stimmt", gab ich zu und lächelte unwillkürlich.
Was war ich vorher doch dumm gewesen. Wofür hatte ich meine Kräfte nicht alles verplempert - für meinen Beruf, für Geld, für schöne Kleider, für Männer ... Und am Ende war ich doch immer dieselbe geblieben und hatte gewußt, daß sich dieser Reigen fortsetzen würde bis ans Ende meiner Tage.
> Hast du mit dem Philosophen argumentiert?" wollte Mangans wissen.
Diesmal lachte ich ihn einfach aus. Was für eine idiotische Frage! Wie hätte ich mich der geballten Kompetenz des Philosophen auch widersetzen sollen? Und können? Und wozu auch?
Er hatte recht, recht in allem, was er sagte und tat. Sein System beruhte auf wissenschaftlicher Grundlage, es war durchdacht bis ins kleinste, bis zur unausweichlich letzten Konsequenz.
„Selbstverständlich nicht", sagte ich. „Wie soll man gegen die Wahrheit argumentieren? Das ist doch Unsinn!"
„Und wer behauptet, daß es sich um die Wahrheit handelt? Er, der Philosoph?"
Ich nickte.
„Kann es sein, daß er euch belogen hat?" fragte Julio Mangans.
Mich schauderte. Der Gedanke war allzu vermessen, eine unerhörte Frechheit. Wie kam dieser bornierte Dummkopf dazu, solche Fragen zu stellen? Der Philosoph hatte recht gehabt - es gab Menschen, die seine Feinde waren und damit auch unsere Feinde. Feinde, die man wenigstens aufhalten mußte, wenn es nicht sogar besser war, sie zu töten.
Die Wahrheit, die einzige, unerschütterliche und niemals endende Wahrheit, lag jenseits der Schwelle des Todes, aber das konnten Menschen wie Julio Mangans - Doktor hin oder her - einfach nicht begreifen. Erst im Augenblick ihres Todes würde sich ihnen die Wahrheit offenbaren.
So betrachtet, war es eigentlich unsere ethische Pflicht, Menschen wie Julio Mangans, wenn sie sich schon nicht überzeugen lassen wollten, mit dem besten und unwiderlegbaren Beweis von der Richtigkeit unserer Wahrheit zu konfrontieren - indem wir sie töteten.
„So ein Schwachsinn!" sagte ich gereizt. „Hältst du mich denn für so dumm, auf einen Lügner hereinzufallen?"
Er sah mich an, mit dunklen, diesmal sehr kühl blickenden Augen.
„Ja, für so dumm halte ich dich", sagte er ohne Aufregung. „Und ich kann dir beweisen, daß ich recht habe."
„Das möchte ich erleben", trotzte ich.
„Nun gut", meinte Mangans. „Vor dem Auftauchen des Philosophen hast du anders gedacht und empfunden als heute, richtig? Wesentlich anders, vor allem, was deine Einstellung zu Leben und Tod angeht."
„Zugegeben", räumte ich ein. „Aber der Philosoph hat mir die Augen für die Wahrheit geöffnet ..."
„Nicht so schnell!" sagte Julio Mangans. „Bleiben wir bei deinem Zustand vor der Erleuchtung durch den Philosophen. Bist du damals auf Lügner hereingefallen?"
Ich senkte den Kopf.
„Du hast recht", gab ich zu. „Ja, ich bin damals Lügen aufgesessen. Märchen, Fabeln, Mythen, irgendwelchen Geschichten, die ich geglaubt habe wie ein kleines Kind ..."
Mangana spitzte die Lippen.
„Und hast du damals, als du das alles noch geglaubt hast, schon gewußt, daß es Lügen gewesen sind?"
Ich schüttelte langsam den Kopf.
„Der Philosoph hat es mir aber klar- und bewußtgemacht", antwortete ich. „Und seine Beweise ..."
„Lassen wir einmal die sogenannten Beweise", sagte Julio Mangana scharf. „Fassen wir nur die Tatsachen zusammen. Vor dem Philosophen hast du ein gewisses Weltbild gehabt und fest daran geglaubt.
Dann ist der Philosoph gekommen, hat dieses Weltbild als Lüge bezeichnet und dir ein neues Bild vermittelt, an das du nun glaubst, ohne jeden Zweifel daran zu entwickeln ..."
„Und du versuchst", hielt ich ihm entgegen, „mir jetzt zu erklären, daß der Philosoph ein Lügner ist und du die Wahrheit sagst ..."
„So ungefähr", bestätigte Julio Mangana. „In diesem Punkt wenigstens sind der Philosoph und ich gleich ..."
Ich starrte ihn entgeistert
Weitere Kostenlose Bücher