19 Minuten
Projektorwagen lag eine Plastiktüte mit irgendwelchen Papieren, aber die konnte er Josie ja nicht über den Kopf stülpen. »Okay«, sagte er, »wir müssen irgendwas machen, was dich ablenkt.«
Josie sah ihn skeptisch an.
»Vielleicht was spielen«, schlug Peter vor und musste an Kurt im Front Runner denken, der dasselbe gesagt hatte. »Ein Quiz?«
Josie zögerte. »Wer fragt und um was soll's gehen?«
Nach sechs Fragerunden und einer Stunde Geografie bekam Peter allmählich Durst. Außerdem musste er mal, und das war wirklich ein Problem, weil er niemals in Josies Anwesenheit pinkeln würde. Josie war still geworden und zitterte nicht mehr. Er dachte schon, sie wäre eingeschlafen.
Doch dann sagte sie: »Wahrheit oder Pflicht?«
Peter sah sie an: »Wahrheit.«
»Hasst du mich?«
Er senkte den Kopf. »Manchmal.«
»Kein Wunder«, sagte Josie.
»Wahrheit oder Pflicht?«
»Wahrheit«, sagte Josie.
»Hasst du mich?«
»Nein.«
»Warum benimmst du dich dann so?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich benehme mich so, wie die anderen es von mir erwarten. Das gehört irgendwie dazu ... Wenn ich nicht...« Sie zupfte am Gummigriff ihrer Krücke. »Das ist ziemlich kompliziert. Verstehst du wahrscheinlich nicht.«
»Wahrheit oder Pflicht?«, fragte Peter.
Josie grinste: »Pflicht.« »Leck an deiner Fußsohle.«
Sie lachte. »Ich kann ja nicht mal auf meiner Fußsohle gehen.« Aber sie beugte sich weit vor, zog ihren Schuh aus und streckte die Zunge raus. »Wahrheit oder Pflicht?«
»Wahrheit.«
»Angsthase«, sagte Josie. »Warst du schon mal verliebt?«
Peter sah Josie an. »Ja«, sagte er. »Ich glaub schon.«
Ihre Augen wurden groß: »In wen?«
»Du hast immer nur eine Frage. Wahrheit oder Pflicht?«
»Wahrheit«, sagte Josie.
»Was war deine letzte Lüge?«
Das Lächeln auf Josies Gesicht erstarb. »Vorhin, als ich gesagt hab, ich wär auf Eis ausgerutscht. Matt und ich hatten Streit, und er hat mich geschlagen.«
»Er hat dich geschlagen?«
»Nicht so, wie du denkst... Ich hab was gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen, und dann hat er - na ja, ich hab das Gleichgewicht verloren, und - schwups.«
»Josie -«
Sie zog den Kopf ein. »Das weiß sonst keiner. Du erzählst das doch nicht weiter, oder?«
»Nein.« Peter stockte. »Warum hast du's denn keinem erzählt?«
»Du hast immer nur eine Frage«, wies sie ihn zurecht.
»Das ist meine Frage.«
»Dann nehm ich lieber Pflicht.«
Peter ballte die Hände zu Fäusten. »Küss mich«, sagte er.
Sie beugte sich langsam vor, bis ihr Gesicht ihm so nah war, dass er es nur noch verschwommen sah. Ihr Haar fiel über Peters Schulter, und sie schloss die Augen. Sie roch nach Herbst, nach Apfelsaft und tief stehender Sonne und Frost in der Luft. Er spürte sein Herz rasen.
Josies Lippen berührten ganz leicht seinen äußersten Mundwinkel, eher die Wange. »Ich bin froh, dass ich nicht allein hier drin festsitze«, sagte sie schüchtern, und er kostete die Worte, wie süße Pfefferminze in ihrem Atem.
Peter senkte den Blick und betete, dass Josie seine Erektion nicht bemerkte. Er musste so breit grinsen, dass es fast wehtat. Er stand also doch auf Mädchen, es musste eben nur die Richtige sein.
Im selben Augenblick klopfte jemand an die Metalltür. »Ist da jemand drin?«
»Ja!«, schrie Josie und stemmte sich mühsam auf die Beine. »Hilfe!«
Sie hörten Schläge wie von einem Hammer, und dann wurde die Tür mit einem Stemmeisen geöffnet. Josie humpelte aus dem Fahrstuhl. Neben dem Hausmeister stand Matt Royston. »Ich hab mir Sorgen gemacht, weil du nicht zu Hause warst«, sagte er und schloss Josie in die Arme.
Aber du hast sie geschlagen, dachte Peter, und erinnerte sich dann an sein Versprechen. Er sah, wie Matt sie hochhob und hinaustrug, damit sie nicht an Krücken gehen musste.
Peter rollte das iBook und den Projektor in die Bibliothek und schloss ab. Es war spät geworden, und er musste zu Fuß nach Hause, aber das machte ihm nichts aus. Er beschloss, gleich als Erstes den Kreis, den er um Josies Jahrbuchfoto gemalt hatte, durchzustreichen und ihre typischen Merkmale aus dem Schurkenkatalog in seinem Videospiel zu löschen.
Er grübelte noch über die entsprechenden Programmierschritte nach, als er schließlich zu Hause ankam. Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass irgendwas nicht stimmte - im Haus brannte kein Licht, aber die Autos waren da. »Hallo?«, rief er und ging vom Wohnzimmer durchs Esszimmer in die Küche.
Weitere Kostenlose Bücher