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neidisch«, meinte Emma. »Ich wünschte, ich hätte jemanden, der ohne mich nicht leben kann.«
»Du hast so ein Glück, Josie«, bestätigte Maddie.
Josie lackierte weiter ihre Zehennägel. Alle ihre Freundinnen, außer vielleicht Courtney, wären für ihr Leben gern an ihrer Stelle gewesen.
Aber würden sie auch dafür sterben, wisperte eine Stimme in ihr.
Sie blickte zu Maddie und Emma hoch, zwang sich zu einem Lächeln. »Und ob«, sagte Josie.
Im Dezember ergatterte Peter einen Job in der Schulbibliothek. Er musste sich um die audiovisuellen Medien kümmern, was hieß, dass er jeden Tag nach Schulschluss etwa eine Stunde lang
Mikrofilme zurückspulte und DVDs sortierte. Er rollte Over-headprojektoren in die Klassenräume, wenn Lehrer sie am nächsten Morgen für den Unterricht benötigten. Ihm gefiel vor allem, dass er in der Bibliothek seine Ruhe hatte. Von den coolen Typen verirrte sich nach Schulschluss keiner dorthin.
Er hatte den Job bekommen, weil er den alten Computer der Bibliothekarin Mrs. Wahl repariert hatte. Jetzt war Peter ihr Lieblingsschüler. Sie ließ ihn abschließen, wenn sie schon gegangen war, und besorgte ihm sogar einen Schlüssel für den Hausmeisteraufzug, damit er Geräte von einer Etage zur anderen transportieren konnte.
Peters letzte Aufgabe an diesem Tag war es, einen Projektor aus dem Bioraum hinunter in den Medienraum zu schaffen. Er hatte gerade den Fahrstuhl betreten und wollte schon den Schlüssel drehen, um die Türen zu schließen, als er jemanden rufen hörte, er solle warten.
Gleich darauf kam Josie Cormier hereingehumpelt.
Sie hatte ein Bein in Gips und ging an Krücken. Als die Fahrstuhltüren zuglitten, schielte sie kurz zu Peter rüber und sah dann rasch zu Boden.
Es waren Wochen vergangen, seit er wegen ihr den Job im Copyshop verloren hatte, aber Peter spürte noch immer Wut in sich aufsteigen. Er konnte förmlich hören, wie sie innerlich die Sekunden zählte, bis die Fahrstuhltüren wieder aufgingen. Tja, ich bin auch nicht gerade begeistert, dachte er, und im selben Moment ruckelte der Fahrstuhl und blieb quietschend stehen.
»Was ist denn jetzt los?« Josie drückte den Knopf fürs Erd-geschoss.
»Das bringt nichts«, sagte Peter. Er griff an ihr vorbei, registrierte, dass sie zurückwich, und drückte den roten Notfallknopf.
Nichts passierte.
»Mist«, sagte Peter.
Josie drückte erneut den Knopf. »Hallo?«
»Das hört keiner«, sagte Peter. »Die Lehrer sind alle schon
weg, und der Hausmeister guckt von fünf bis sechs immer Fernsehen, irgendeine Talkshow.« Er musterte sie kurz. »Was machst du überhaupt noch hier?«
Sie hob die Krücke hoch. »Ich kann nicht bei Sport mitmachen, und deshalb soll ich ein Referat schreiben. Und was machst du noch hier?«
»Ich arbeite jetzt hier«, sagte Peter, und dann schwiegen sie beide.
Nüchtern betrachtet, dachte Peter, würde man sie früher oder später finden. Spätestens am nächsten Morgen, wenn die Schule sich wieder füllte. Er lächelte schwach und dachte, dass er Derek dann wahrheitsgemäß würde berichten können: Stell dir vor, ich hab mit Josie Cormier die Nacht verbracht.
»Was meinst du, wann uns einer findet?«
»Keine Ahnung.«
»Merkt denn in der Bibliothek keiner, wenn du nicht wiederkommst?«
»Nicht mal meine eigenen Eltern würden merken, wenn ich nicht wiederkomme.«
»Und wenn uns die Luft ausgeht?« Josie schlug mit einer Krücke gegen die Tür. »Hilfe!«
»Uns geht hier nicht die Luft aus«, sagte Peter.
»Woher weißt du das?«
Er wusste es nicht.
»In engen Räumen krieg ich Panik«, sagte Josie. »Das halt ich nicht aus.«
Er wunderte sich, dass er das nicht gewusst hatte. Aber andererseits war er schon seit sechs Jahren aus ihrem Leben ausgeschlossen.
»Ich glaub, ich muss mich übergeben«, stöhnte Josie.
»Ach du Scheiße«, sagte Peter. »Beherrsch dich. Mach die Augen zu, dann merkst du nicht mal, dass du in einem Fahrstuhl bist.«
Josie schloss die Augen und geriet prompt mit ihren Krücken ins Schwanken.
»Warte.« Peter nahm ihr die Krücken ab. Dann hielt er sie an den Händen, während sie langsam zu Boden glitt, das Gipsbein nach vorn gestreckt.
»Wie ist das passiert?«, fragte er mit Blick auf den Gips.
»Ich bin auf Eis ausgerutscht.« Ihr kamen die Tränen, und sie begann hektisch zu atmen - hyperventilieren, dachte Peter, obwohl er das Wort nur aus Büchern kannte. Sollte man dann nicht in eine Papiertüte atmen? Er sah sich um. Auf dem
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