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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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er über seine Seminare oder Veröffentlichungen zu sagen hatte, ihr noch irgendwie wichtig erschien. Nicht während ihr Sohn im Gefängnis saß. Aber Lewis ? Sie hatte immer gedacht, sie wäre der Freigeist in ihrer Ehe und er der Anker.
    Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Lewis würde ihr natürlich erklären, dass es nur um Sex ging, nicht um Liebe. Dass es nichts zu bedeuten hätte. Er würde sagen, dass es viele unterschiedliche Arten gab, wie Menschen mit ihrer Trauer umgingen.
    Wieder setzte Lewis den Blinker und bog rechts ab - diesmal auf einen Friedhof.
    Er stieg aus, die Rosen in der Hand, aber keinen Schirm. Es regnete jetzt heftiger, doch Lacy war fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie hielt sich weit genug hinter ihm, als er zu einem neueren Teil des Friedhofs ging, wo frische Gräber lagen, die noch keine Grabsteine hatten. Sie sahen aus wie ein Flickenteppich: braune Erde auf dem gepflegten Rasengrün.
    Beim ersten Grab kniete Lewis sich nieder und legte eine Rose auf die Erde. Dann ging er zum nächsten und tat dasselbe. Und noch eine, und noch eine, bis ihm Wasser aus den Haaren ins Gesicht rann, bis sein Hemd völlig durchnässt war, bis er zehn Blumen abgelegt hatte.
    Lacy trat hinter ihn, als er die letzte Rose hinlegte. Sie war erleichtert, weil er sie nicht betrog, aber sie war dennoch so furchtbar traurig über das, was er stattdessen tat. »Ich weiß, dass du da bist«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
    Lacy hätte nicht sagen können, ob sie noch weinte oder ob der Himmel das für sie tat. »Wie kannst du es wagen«, sagte sie vorwurfsvoll, »hierherzukommen und deinen eigenen Sohn nicht zu besuchen?«
    Er wandte das Gesicht zu ihr hoch. »Kennst du die Chaostheorie?«
    »Die Chaostheorie ist mir komplett verdammt egal, Lewis. Mir geht es um Peter. Was ich von dir nicht behaupten -«
    »Man nimmt an«, unterbrach er sie, »dass man nur den letzten Punkt einer zeitlichen Entwicklung linear erklären kann ... und das alles, was zu diesem Punkt geführt hat, aus einer ganzen Reihe von Ereignissen entstanden sein könnte. Da lässt zum Beispiel ein Kind einen Stein übers Wasser hüpfen, und irgendwo auf der anderen Seite des Planeten kommt es zu einem Tsunami.« Lewis stand auf und schob die Hände in die Taschen. »Ich hab ihn mit auf die Jagd genommen, Lacy. Ich hab ihm gesagt, er soll am Ball bleiben, auch wenn es ihm keinen Spaß macht. Ich hab tausend Dinge gesagt. Was, wenn irgendwas davon Peter zu der schrecklichen Tat gebracht hat?«
    Er schluchzte laut auf und verbarg das Gesicht hinter seinen Händen. Lacy streckte die Arme nach ihm aus, während der Regen ihr auf Schultern und Rücken prasselte.
    »Wie haben unser Bestes getan«, sagte Lacy.
    »Es war nicht gut genug.« Lewis deutete mit einer heftigen Geste auf die Gräber. »Sieh dir das an. Sieh es dir doch in!«
    Klatschnass im strömenden Regen betrachtete Lacy die Gräber und sah die Gesichter der Kinder vor sich, die noch leben würden, wenn ihr eigener Sohn nie geboren worden wäre.
    Lacy legte eine Hand auf ihren Unterleib. Der Schmerz zerteilte sie förmlich, und sie wusste, dass sie nie wieder richtig zusammengefügt werden würde. Einer ihrer Söhne hatte Drogen genommen. Der andere war ein Mörder. Waren sie und Lewis die falschen Eltern für ihre Jungen gewesen? Oder hätten sie nie Eltern werden dürfen?
    Lacy presste die Augen fest zu. Für den Rest ihres Lebens würden die Leute sie als Peter Houghtons Mutter kennen. Früher einmal hätte sie sich nichts Schöneres wünschen können, aber manche Wünsche entpuppten sich nun mal als gefährlich. Wer sich in den guten Leistungen seiner Kinder sonnen wollte, musste auch die Verantwortung für ihr Versagen übernehmen. Und für Lacy hieß das, dass Lewis und sie, anstatt bei diesen Opfern
    Wiedergutmachung zu leisten, sich der eigenen Welt stellen mussten - bei Peter.
    »Er braucht uns«, sagte sie. »Mehr denn je.«
    Lewis schüttelte den Kopf. »Ich kann Peter nicht besuchen.«
    Sie wich zurück. »Warum nicht?«
    »Weil ich noch immer jeden Tag an den Betrunkenen denken muss, der in Joeys Auto gerast ist. Daran, wie sehr ich gewünscht hätte, er wäre statt Joey gestorben, weil er es verdient hätte. Die Eltern dieser Kinder denken dasselbe über Peter«, sagte Lewis. »Und Lacy ... ich kann es ihnen nicht verübeln.«
    Jordan wartete in einer Pizzeria in der Nähe des Gefängnisses auf King Wah, der sich nach seinem Gespräch mit Peter

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