19 Minuten
Kaffee zu holen. »Was Sie da vorhin gesehen haben«, sagte Alex zögerlich. »Sie werden doch nicht...«
»Aller Welt erzählen, dass Sie einen kleinen Nervenzusammenbruch in Ihrem Auto hatten?«
Sie starrte in die Tasse, die er vor sie hingestellt hatte, und wusste nicht recht, wie sie reagieren sollte. Ihrer Erfahrung nach wurde jede Schwäche, die man anderen offenbarte, sofort gegen einen verwendet. »Manchmal ist es schwer, Richterin zu sein. Die Leute erwarten, dass man sich rund um die Uhr wie eine verhält.«
»Ihr Geheimnis ist bei mir sicher«, sagte Patrick. »Ich verrate niemandem, dass Sie tatsächlich Gefühle haben.«
Patrick verschränkte die Arme auf der Theke und beugte sich zu ihr vor. »Es ist doch wirklich nicht weiter schlimm. Wir haben alle mal einen schlechten Tag.«
»Aber setzen Sie sich dann in Ihr Auto und heulen?«
»In letzter Zeit nicht, aber ich bin dafür bekannt, dass ich meine Wut schon mal an Asservatenkisten auslasse.« Er goss Milch in ein Kännchen und stellte es ihr hin. »Wissen Sie, das eine schließt das andere nicht aus.«
»Was denn?«
»Richterin sein und Mensch sein.«
Alex gab Milch und Zucker in ihren Kaffee. »Erzählen Sie das mal den Leuten, die wollen, dass ich den Prozess abgebe.«
»Aber jetzt werden Sie mir gleich sagen, dass wir nicht über den Fall sprechen dürfen?«
»Ja«, sagte Alex. »Bloß, dass ich mit dem Fall nichts mehr zu tun habe. Das pfeifen bald die Spatzen von den Dächern.«
Er wurde ernst. »Waren Sie deshalb so aufgewühlt?«
»Nein. Die Entscheidung, den Fall abzugeben, hatte ich schon vorher getroffen. Aber dann hab ich erfahren, dass die Verteidigung Josie auf ihre Zeugenliste gesetzt hat.«
»Wieso denn das?«, fragte Patrick. »Sie kann sich an nichts erinnern.«
»Ich weiß nicht, was sie da aussagen soll.« Alex blickte auf. »Aber wenn es meine Schuld ist? Wenn dieser Anwalt das nur gemacht hat, um mich von dem Fall wegzukriegen, weil ich zu stur war, den Vorsitz abzugeben, als man es mir nahegelegt hat?« Zu ihrer großen Bestürzung merkte sie, dass ihr schon wieder die Tränen kamen. »Und jetzt muss sie vielleicht vor aller Augen in den Zeugenstand und den ganzen Tag noch einmal durchleben.« Patrick reichte ihr eine Serviette, und sie wischte sich über die Augen. »Tut mir leid. Ich bin sonst nicht so.«
»Jede Mutter, deren Tochter dem Tod so knapp entgangen ist, hat das Recht, die Fassung zu verlieren«, sagte Patrick. »Hören Sic. Ich hab zweimal mit Josie gesprochen. Ich kenne ihre Aussage in- und auswendig. Es spielt keine Rolle, wenn McAfee sie in den Zeugenstand ruft - sie kann nichts sagen, was sie quälen würde. Das Gute an der Sache ist, dass Sie sich jetzt keine Gedanken mehr um einen möglichen Interessenkonflikt machen müssen. Josie braucht im Augenblick eine gute Mutter dringender als eine gute Richterin.«
Alex lächelte wehmütig. »Ein Jammer, dass sie sich mit mir begnügen muss.«
»Nun hören Sie aber auf.«
»Aber es stimmt. Mein ganzes Leben mit Josie ist eine Aneinanderreihung von gescheiterten Kontaktaufnahmeversuchen. S/r haben bessere Gespräche mit ihr geführt als ich in letzter Zeit.« Alex starrte in ihre Tasse. »Alles, was ich zu Josie sage, kommt irgendwie falsch raus. Sie sieht mich an, als wäre ich eine Außerirdische. Als hätte ich kein Recht, mich wie eine fürsorgliche Mutter zu verhalten, weil ich mich nicht wie eine benommen habe, ehe die furchtbare Sache passiert ist.«
»Warum nicht?«
» Ich hab gearbeitet. Sehr viel gearbeitet«, sagte Alex.
«Viele Eltern müssen viel arbeiten -«
» Aber ich bin eine gute Richterin. Und eine schlechte Mutter.« Alex hob die Hand vor den Mund, aber es war zu spät, die gif-tige Wahrheit zurückzunehmen. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, einem anderen etwas anzuvertrauen, was sie sich kaum
selbst eingestand?
» Dann sollten Sie vielleicht versuchen, mit Josie so zu reden wie mit den Leuten, die in Ihrem Gerichtssaal erscheinen«, schlug Patrick vor.
»Sie hasst es, wenn ich mich wie eine Juristin benehme. Außerdem rede ich bei Verhandlungen kaum. Meistens höre ich zu.«
»Tja, Euer Ehren«, sagte Patrick. »Dann versuchen Sie's doch damit.«
Alex sah einige Augenblicke an Patrick vorbei auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne.
»Da wir nicht im Gericht sind«, sagte sie dann unsicher, »fänd ich es nett, wenn Sie mich Alex nennen würden.«
Patrick grinste. »Und ich fänd's nett, wenn Sie mich Ihre
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