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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Angst, an einer Tücke der Technik zu scheitern oder sogar entdeckt zu werden, erst jetzt von ihm abfiel, empfand die Erlösung körperlich, hatte von einem Augenblick zum anderen Hunger. Er verließ die Zelle, ging hinüber in die Bahnhofshalle. Beim Gourmet war schon geöffnet. Er holte sich ein Aalbrötchen und Kaffee, stellte sich an einen der hohen Tische, aß und trank und freute sich darauf, seiner Mutter zu berichten. Doch da spürte er den kleinen, kumpelhaften Stoß gegen die Schulter. Er drehte sich um, sah seinem Onkel John ins hämisch verzogene Gesicht und hörte ihn sagen:
»Das habt ihr ja wirklich clever eingefädelt! Tagsüber trauert ihr um euren Selbstmörder, und nachts führt ihr fröhliche Gespräche mit ihm.«
Der Bissen war Jacob im Hals steckengeblieben. Er würgte ihn hinunter und rang um Fassung. »Irrtum«, antwortete er endlich und zündete sich, um Zeit zu gewinnen, eine Zigarette an, blies in kindlicher Gegenwehr dem Onkel Rauch ins Gesicht und fuhr dann fort:
»Es ist ein Riesenirrtum, wenn du meinst, ich hätte mit meinem Vater telefoniert. Ich hab’ mit meiner Freundin gesprochen.«
»Daß ich nicht lache! Aber geh jetzt nicht weg, ich hol’ mir einen Kaffee.«
Als John zurück war, ging es gleich weiter: »Als ob du nicht zu Haus telefonieren könntest! Und wer ruft denn wohl sein Mädchen um diese Zeit an?«
»Ja, Onkel John, so ist das nun mal, wenn man in eine Frau verknallt ist, in die man nicht verknallt sein darf, weil sie einen Mann hat. Außerdem kennt Mutter sie gut. Sie braucht nur einmal ein Telefongespräch mit anzuhören, und schon ist der Teufel los. Bei den Sorgen, die wir zur Zeit haben, wollte ich ihr diesen Kummer nicht auch noch machen.«
»Wer’s glaubt!« Die Gehässigkeit stand John Theunissen noch immer im Gesicht.
»Glaub es oder glaub es nicht! Aber vielleicht ist ’ne Gegenfrage erlaubt: Was machst denn du in aller Frühe auf dem Hauptbahnhof? Erzähl mir bloß nicht, du wolltest endlich mal gemütlich frühstücken!«
»Ich erklär’s dir, lieber Neffe. Seit dein Vater abgehauen ist, seh’ ich den Wettkampf natürlich in einem ganz anderen Licht. In einem, das mir Hoffnung macht. Nur wissen wir leider noch nicht genau, woran wir sind, und darum muß erst mal der Täter gefaßt und bestraft werden. Immerhin hat er zwei Menschenleben auf dem Gewissen. Es sieht tatsächlich so aus, als hätte Vetter Olaf das chilenische Ding gedreht, und durch seine Flucht ist er nun noch verdächtiger geworden. Aber solange er verschwunden bleibt, klärt sich nichts. Also hat der Familienrat beschlossen, dafür zu sorgen, daß er so schnell wie möglich gefunden wird, egal, von wem. Ergo halten wir die Augen offen, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir schieben Wache. Sechs Personen, Tag und Nacht und immer im Wechsel, weil wir ja nebenher unser normales Leben zu führen haben, Helga, Carsten, Hanna, ich und dazu zwei verläßliche Mitarbeiter meiner Firma. Und ausgerechnet ich hab’ das Glück, den Filius zu erwischen, wie er morgens durch Harvestehude zuckelt, dann kreuz und quer durch die Gegend fährt, um eventuelle Verfolger abzuschütteln, und schließlich am Bahnhof landet. Gestern abend hat man mir gemeldet, Sohnemann habe die Familienkutsche nicht in die Garage gefahren, nicht mal auf dem eigenen Grundstück abgestellt, sondern ein gutes Stück vom Haus weg geparkt. Das mußte ja was auf sich haben. Also übernahmen Carsten und ich die Nachtschichten, er die von zwölf bis vier, ich die von vier bis acht. Und siehe da, ich wurde belohnt! Ich stand nämlich mit meinem Wagen nur vier Plätze hinter dir. Ja, so war das, und nun bin ich es der Familie, der Staatsanwaltschaft, der Reederei und nicht zuletzt dem alten Claas schuldig, meine Beobachtungen weiterzuleiten.«
»Entschuldige, Onkel John, aber ihr habt alle miteinander ’ne Meise.«
John nahm dem Neffen die abfälligen Worte nicht übel, rechnete sie seiner Enttäuschung und auch seiner Jugend zu und erwiderte:
»Stehen wir etwa nicht hier, du und ich? Und das zu dieser idiotischen Zeit? Und hast du nicht soeben sehr geheimnisvoll telefoniert?«
»Ja, mit einer Frau. Wie oft soll ich das noch sagen?«
»Ich nehm’ dir das einfach nicht ab.«
Jacob spürte, daß er im Begriff war, die Kontrolle über sich zu verlieren. Er war böse, böse mit sich selbst, weil ihm diese Panne unterlaufen war, aber seine Erregung hing wohl auch damit zusammen, daß er John für den Täter hielt. »Ich hoffe, du

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