2 - Wächter des Tages
einen kleinen Gegenstand entgegen. Eine Art Globus: Eine Kugel, die aus feinen Knochen gearbeitet war ... genauer aus beinernen Nadeln, die wie Bögen geformt waren und an den Polen jeweils in eine kleine Holzscheibe mündeten. Innen war die Kugel hohl ... o nein. Sie war nicht hohl. Sondern voller Kraft. Schlummernder, gefangener Kraft... »Was ist das?«, fragte Anton mit einem Anflug von Panik. »Keine Angst. Ein nicht verflüssigter Segen.« »Und ... was ist dann ein verflüssigter Segen?« Geser seufzte. »Woher soll ich das denn wissen? Das war nur Spaß. Eine rhetorische Figur. Eine Redewendung. Eine Metapher. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Segen gibt, und ob man ihn verflüssigen kann, ist noch eine ganze andre Frage. Was du in Händen hältst, ist eine Art magischer Generator unverständlichen Gebrabbels. Wenn du einmal ein absolut - und das sei betont -, ein absolut vertrauliches Gespräch führen musst, das niemand auf irgendeine Art belauschen darf, dann zerbrich einfach die Kugel in der Hand. Vermutlich wirst du dich dabei verletzen, aber diesen Preis musst du zahlen. Dafür kann dann im Laufe von zwölf Stunden niemand den Raum im Umkreis von zehn Metern um dich herum kontrollieren. Weder mit technischen noch mit magischen Mitteln. Es werden ... äh ... lediglich einige völlig harmlose und unschuldige Bilder, Gespräche und Ereignisse festgestellt werden können. Das Amulett selbst ist übrigens mit magischen Mitteln ebenfalls nicht festzustellen.«
»Vielen Dank«, sagte Anton finster. »Irgendwie kann ich mich aber über dieses Geschenk nicht so richtig freuen.«
»Du wirst es schon noch zu schätzen wissen. Was ist, trinkst du jetzt ein Bier oder nicht?«
»Gern. Nur warum muss es unbedingt Bier sein?«
»Um die eigenen Regeln nicht zu sehr zu verletzen.« Geser lächelte zufrieden. »Schließlich sind wir immer noch auf der Arbeit.«
Er drückte einen Knopf an der Sprechanlage. »Olja, bring uns bitte Bier«, sagte er leise.
Anton wunderte sich über gar nichts mehr. Doch Geser sah sich zu einer Erklärung veranlasst, nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte. »Galotschka ist eine hervorragende Sekretärin. Aber sie ist nur eine Zauberin vierten Grades. Und könnte, ohne es selbst zu bemerken, dem Feind Informationen zukommen lassen. Deshalb habe ich sie heute ersetzt.«
Eine Minute später kam Olga herein. Mit einem Tablett, auf dem zwei große Gläser mit hellem Bier, eine beeindruckende, zwei Liter fassende Kristallkaraffe mit dem gleichen Getränk und eine Platte mit Käse standen.
»Hallo, Antoschka«, meinte Olga herzlich. »Du magst doch Budweiser?«
»Was wären wir für Lichte, wenn wir nicht so helle wären, helles tschechisches Bier zu lieben?«, versuchte Anton zu scherzen. Es gelang ihm nicht ganz, doch die Absicht, ein Wortspiel zu machen, war bemerkenswert. Es war lange her, seit er das letzte Mal dazu in Stimmung gewesen war...
»Wie geht es Sweta?«, fragte Olga im selben Ton wie zuvor.
Anton presste die Lippen zusammen. Die Last, die ihm kurz von der Seele genommen war, drückte ihn erneut. »Alles beim Alten...«
»Keine Veränderung?«
Anton nickte.
»Ich gehe heute Abend mal bei ihr vorbei«, meinte Olga. »Ich glaube, sie kann einen Besuch schon verkraften. Und ich werde sie ganz sicher ein wenig aufmuntern... glaub mir.«
Das stimmte. Wer könnte eine Große Zauberin, die auf lange Zeit ihrer magischen Fähigkeiten beraubt sein würde, besser trösten als eine andre Große Zauberin, der über lange Jahrzehnte ihre Kraft entzogen worden war, um sie für ihr Verhalten zu bestrafen?
»Tu das, Olga«, bat Anton. »Sweta wird sich sehr freuen.«
Geser hüstelte leicht.
»Euch bleibt schon noch genug Zeit«, brachte ihn Olga kalt zum Schweigen. »Weißt du was, Anton ... ich wünsche dir viel Erfolg. Von ganzem Herzen wünsche ich dir viel Erfolg.«
»Wobei denn?«, fragte Anton verständnislos.
Statt ihm zu antworten, beugte sich Olga leicht zu ihm herunter und küsste ihn sanft, zärtlich auf die Lippen.
»Na aber!«, sagte Geser nur.
»Nachdem Anton und ich unsere Körper getauscht haben«, meinte Olga nonchalant, »hast du wohl kaum Grund, auf ihn eifersüchtig zu sein. Schon gar nicht wegen einer solchen Kleinigkeit. Gut, lungs! Benehmt euch, trinkt nicht zu viel Bier; wenn was ist, ruft mich.«
»Wenn was ist?« Geser verzog das Gesicht. Doch Olga war bereits hinausgegangen. Der große Magier folgte ihr mit dem Blick. Als
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