2 - Wächter des Tages
scherzte oder ob er das völlig ernst meinte. »Weißt du, es ist wie eine Partie Schach«, erklärte Edgar. »Die Leitung bewegt einfach auf dem Brett ihre unpersönlichen Figuren: uns.«
Die Augen des Kellners wurden proportional zu der von Anton und Edgar bestellten Menge Bier immer größer. An diesen Tisch hatte er bereits so viele große Seidel gebracht, dass es für das gesamte amerikanische Luftgeschwader und die Chicago Bulls obendrein gereicht hätte. Die beiden Russen saßen jedoch immer noch da, fanden kein Ende, obwohl nicht zu übersehen war, was für eine Mühe ihnen das Sprechen inzwischen bereitete.
»Nimm doch nur mal dich und mich«, fuhr Edgar fort. »Du trittst in diesem Prozess als Verteidiger auf. Ich als Ankläger. Trotzdem stellen wir keine bedeutsame Größe dar. Wir sind auch jetzt nur Figuren auf dem Spielbrett. Bei Bedarf schickt man uns an die vorderste Front. Bei Bedarf nimmt man uns für bessere Zeiten zur Seite. Wenn sie wollen, tauschen sie uns ab. Worum geht es denn bei diesem Prozess eigentlich? Es ist der Tanz um einen trivialen Abtausch herum. Euer Igor für unsre Alissa. Das ist alles. Sie sind aufeinander losgegangen wie Spinnen im Glas und wurden vom Brett genommen. Im Namen hehrer und für uns unerforschlicher Ziele.«
»Da liegst du falsch.« Anton drohte ihm streng mit dem Finger. »Geser hat nicht gewusst, dass Igor mit Alissa zusammenstoßen würde. Das war eine Intrige Sebulons!«
»Woher nimmst du diese Sicherheit?«, fragte Edgar amüsiert. »Bist du so ausgebufft, dass du in Gesers Seele lesen kannst wie in einem offenen Buch? Soweit ich weiß, weiht die Leitung der Lichten ihre Mitarbeiter ebenfalls nicht gerade bereitwillig in ihre geheimen Pläne ein. Die hohe Politik der hohen Kräfte!«, deklamierte er lautstark und schulmeisterlich.
Anton wollte nur zu gern widersprechen. Doch überzeugende Einwände hatte er bedauerlicherweise nicht zur Hand.
»Oder nehmen wir die letzte Auseinandersetzung in der Lomonossow-Universität. Sebulon hat dich benutzt. Tut mir leid, das hörst du wahrscheinlich nicht gern, aber wo wir schon einmal mit dem Thema angefangen haben ... Also, Sebulon hat dich benutzt. Sebulon! Dein eingeschworener Feind!«
»Er hat mich nicht benutzt.« Anton zögerte, fuhr dann aber doch fort. »Er hat versucht, mich zu benutzen. Und ich habe versucht, die Situation zu unsern Gunsten auszunutzen. Du weißt, wie das ist - im Krieg.«
»Gut, dann hat er es eben nur versucht«, stimmte Edgar geringschätzig zu. »Gut... Aber Geser hat nichts - nichts! - unternommen, um dich zu schützen. Warum sollte er seinen Bauern zu Hilfe kommen? Das ist unökonomisch und sinnlos.«
»Was ihr mit euern Bauern macht, ist auch nicht besser«, bemerkte Anton finster. »Die niederen Anderen, die Vampire und Tiermenschen, seht ihr nicht mal als gleichberechtigt an. Sie sind nur Kanonenfutter.«
»Sie sind wirklich Kanonenfutter, Anton. Billiger und nicht so wertvoll wie wir Magier. Aber im Grunde sind unsere Spitzfindigkeiten und Muskelspielereien völlig unsinnig. Wir sind Marionetten. Nur Marionetten. Aber es zum Puppenspieler zu bringen, haben wir nicht die geringste Chance, denn dafür sind die Fähigkeiten eines Geser oder eines Sebulon nötig, und diese Fähigkeiten kommen extrem selten vor. Außerdem sind die Plätze an den Spieltischen schon besetzt. Keiner der Spieler würde seinen Platz einer Figur überlassen, nicht einmal der Dame oder dem König.«
Anton leerte mit finsterem Blick das Glas und stellte es lautlos auf den Bierdeckel mit dem Wappen des Restaurants.
Er war längst nicht mehr der junge Magier, der zum ersten Mal im Leben auf Jagd geht und eine wildernde Vampirin verfolgt. Schon lange nicht mehr, obwohl eigentlich nicht so viel Zeit vergangen war. Seitdem hatte er oft genug Gelegenheit gehabt, sich davon zu überzeugen, wie viel Dunkel im Licht steckte. Und die düstere Einstellung des Dunklen Edgar - wir sind doch eh nur Schräubchen im Getriebe der Großen Onkel, weshalb es am besten ist, Bier zu trinken und die Klappe zu halten - beeindruckte ihn sogar ein wenig. Und einmal mehr dachte Anton darüber nach, dass die Dunklen in ihrer scheinbaren Einfalt mitunter menschlicher waren als die Kämpfer für die hohen Ideale, die Lichten.
»Trotzdem liegst du falsch, Edgar«, sagte er schließlich. »Zwischen uns gibt es einen wesentlichen Unterschied. Wir leben für andre. Wir dienen, wir befehlen nicht.«
»So reden alle Herrscher der
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