2 - Wächter des Tages
Menschen.« Bereitwillig tappte Edgar in die Falle. »Die Partei ist die Dienerin des Volkes. Erinnerst du dich noch?«
»Aber es gibt etwas, das uns von den Herrschern der Menschen unterscheidet.« Anton sah Edgar in die Augen. »Die Dematerialisierung. Verstehst du? Ein Lichter kann den Weg des Bösen nicht einschlagen. Wenn er begreift, dass er das Böse in dieser Welt vermehrt, geht er ins Zwielicht ein. Er verschwindet. Das ist schon mehrmals vorgekommen. Ein Lichter braucht bloß einen Fehler zu machen oder dem Dunkel ein wenig nachzugeben.«
Edgar kicherte leise. »Anton ... da hast du die Antwort doch gleich mitgeliefert. Wenn er begreift... Und wenn er es nicht begreift? Erinnerst du dich noch an den wahnsinnigen Heiler? Vor zwölf Jahren, wenn mich nicht alles täuscht...«
Anton erinnerte sich. Er war damals noch nicht initiiert, doch diesen einmaligen Fall nahm jeder Mitarbeiter der Wachen durch, jeder Lichte.
Ein einfacher Heiler mit starken Anlagen zur Prophezeiung. Er lebte bei Moskau, arbeitete nicht aktiv in der Nachtwache, zählte jedoch zur aktiven Reserve. Von Beruf Arzt, griff er in seiner Praxis zu Lichter Magie. Die Patienten vergötterten ihn - er wirkte wahrhaftig Wunder...
Doch er tötete auch Patientinnen, junge Frauen. Nicht auf magische Weise, sondern schlicht mit Gift. Ab und an durch Akupunktur, denn die energetischen Punkte des menschlichen Körpers kannte er vorzüglich...
Die Nachtwache kam ihm fast zufällig auf die Spur. Einer der Analytiker interessierte sich für die sprunghafte Zunahme der Todesrate von jungen Frauen in dieser kleinen Stadt bei Moskau. Vor allem frappierte ihn, dass die meisten Opfer schwanger waren. Außerdem verzeichnete man hier eine ungeheure Zahl von Fehlgeburten, Abtreibungen und Totgeburten. Die Dunklen gerieten in Verdacht, die Vampire und Tiermenschen, Satanisten und Hexen... Wen hatten sie nicht alles überprüft!
Dann nahm sich Geser der Sache an, und der Mörder wurde gefasst. Ein Lichter Magier...
Er hatte die Zukunft einfach zu genau vorausgesehen, dieser charmante, imposante Heiler. Und mitunter hatte er bei einer Untersuchung auch die Zukunft des ungeborenen Kindes seiner Patientin vorausgesehen, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Mörder heranwachsen würde, zum Verrückten oder Verbrecher. Manchmal sah er, dass die Patientin selbst ein unglaubliches Verbrechen begehen oder zufällig für den Tod vieler Menschen verantwortlich sein würde. Irgendwann beschloss er, etwas dagegen zu tun. So gut er konnte...
Vor Gericht erklärte der Heiler voller Eifer, er habe auf lichte magische Handlungen verzichtet, weil sonst die Dunklen das Recht auf einen Gegenschlag gehabt hätten, womit das Böse auf der Welt nicht verringert worden wäre. So habe er sich einfach selbst daran gemacht, das »Unkraut zu jäten«. Davor, ins Zwielicht zu stürzen, hatte ihn die sichere Überzeugung bewahrt, die Summe des von ihm in der Welt vollbrachten Guten übersteige die des angerichteten Bösen bei weitem.
Geser selbst musste ihn dematerialisieren.
»Das war ein Psychopath«, erklärte Anton. »Einfach ein Verrückter. Mit einer typischen Zerrüttung des Denkvermögens... Solche Fälle gibt es nun einmal.«
»Wie auch der Waffengefährte von Jeanne d'Arc, Gilles de Rais«, konterte Edgar schlagfertig. »War das nicht auch ein Lichter? Der dann Frauen und Kinder ermordet hat, um aus ihren Körpern ein Jugendelixier zu gewinnen, den Tod zu besiegen und die ganze Menschheit zu beglücken.«
»Gegen Wahnsinn ist niemand gefeit, Edgar. Selbst die Anderen nicht. Doch wenn wir eine ganz normale Hexe nehmen ...«, begann Anton hitzig.
»Ich will mich gar nicht streiten.« Edgar breitete friedfertig die Arme aus. »Aber es geht doch hier nicht um Extreme! Sondern einfach darum, dass dergleichen möglich ist, und euer viel gerühmter Schutzmechanismus, die Dematerialisierung... nennen wir ihn einfach das Gewissen ... kann versagen. Und jetzt stell dir mal vor, Geser sei zu der Überzeugung gelangt, dein Tod werde dem Licht gewaltigen Nutzen bringen. Wenn in einer Waagschale Anton Gorodezki liegt und in der andern Millionen von Menschenleben.«
»Er bräuchte mich nicht täuschen«, sagte Anton mit fester Stimme. »Bestimmt nicht. Wenn eine solche Situation einträte, wäre ich bereit, mich zu opfern. Jeder von uns wäre dazu bereit!«
»Wenn er dir aber davon nichts sagen dürfte?«, schmunzelte Edgar zufrieden. »Damit der Feind nichts davon
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