2030 - Chimaerenblut
den grauen Himmel. Olga und Marc waren tot. Wladimir war tot und Quentin verschwunden. Er konnte es nicht fassen. Wo war er da hineingeraten?
Er griff in seine Jackentasche und zog den Schlüsselanhänger mit dem Hufeisen hervor. Josi, den wollte ich dir schenken. Jetzt kann ich selbst Glück gebrauchen.
58
Freitag, 31. Mai, Dubai:
Morgens fingen die Blutungen an. Josi hatte starke Schmerzen im Unterleib und konnte kaum einen Schritt gehen. Der Bordarzt wollte sie untersuchen, doch sie flunkerte, eine alte Skiverletzung am Knie mache ihr zu schaffen. Es sei nur der Meniskus.
Der Arzt brachte Josi vorsorglich ein paar Krücken. Außerdem habe sie ihre Periode, entschuldigte sie sich. Daraufhin tastete er ihren Bauch ab, verschob aber weitere Untersuchungen auf später. Er wollte Blut abnehmen, doch Josi weigerte sich, sie könne kein Blut sehen. Stirnrunzelnd ging er, kündigte jedoch an, sie demnächst eingehend zu untersuchen. Er klang wie Josis Mutter, wenn sie glaubte, es mit einer Schulschwänzerin zu tun zu haben.
Jemand klopfte an die Tür. Josi stellte sich schlafend. Ethan brachte Omelette mit Käse und streichelte ihr übers Haar. Nachdem er fort war, zog sie die Decke über den Kopf und weinte.
Ich werde zum Hai.
Man wird mich in ein Aquarium stecken…
...und anstarren.
Ich will das nicht.
Angst.
Am Nachmittag fasste Josi einen Plan. Sie musste von Bord, bevor jemand bemerkte, was mit ihr los war. Doch musste sie sicher sein, einen unbeobachteten Moment zu erwischen, um das Schiff zu verlassen. Die Bodyguards würden sofort ins Meer springen und sie zurückholen. Also musste Josi zuerst die Kamera am Achterdeck ausschalten und mit einer Wiederholungssequenz füttern. Wie das ging, wusste sie noch aus ihren Aktivistenzeiten. Das nötige Programm lag auf einem geheimen Server. Sie wählte sich über ihren NanoC ein und lud das »Chamäleon« für die gefälschten Bilder hoch. Jetzt musste sie nur noch bis auf einen halben Meter an die Kamera ran, um die Manipulation zu starten. Sonst reagierte der Sender nicht. Ein Schutzmechanismus, um Eingriffe aus der Ferne auszuschließen. Clever, aber nicht clever genug.
Für den Gang an Deck wählte Josi einen Zeitpunkt, von dem sie wusste, dass Ethan wie gewöhnlich mit seinem Fernstudium beschäftigt war. Prompt lief sie Hillary Hilden über den Weg, die sich gerade einen zweiten oder dritten Cognac holte und nach dem Befinden fragte. Josi log, sie wolle frische Luft schnappen, damit die Übelkeit verschwinde. Dann humpelte sie mit den Krücken über das Achterdeck zur Kamera…
Anschließend legte Josi sich auf das Bett in ihrer Kabine und wartete, bis es Nacht wurde. Mit Schauer und Panik beobachtete sie die rasanten Veränderungen ihres Körpers. Würden ihre Beine es überhaupt noch einmal nach oben schaffen? Sie wusste, dass die Wachstumshormone nachts am stärksten arbeiteten. Deshalb hatten sich die Kiemen, eine nach der anderen, immer dann entwickelt. Aber was nun mit ihrem Unterleib geschah, war so gruselig, dass sie kaum begreifen konnte was sie sah. Vom Schritt aus wuchs die Haut Stück für Stück nach unten als zöge jemand den Reißverschluss eines Kleides zu.
Bis zum Knie waren die Beine nun schon zusammengewachsen. Während ihr die Tränen übers Gesicht liefen prüfte sie, ob sie noch gehen konnte. Mit einem halb unterdrückten Schrei sank Josi aufs Bett zurück. Sie lauschte, ob sie jemand gehört hatte. Aber niemand kam und klopfte an ihrer Kabinentür. Josi horchte. Alles still. Dann versuchte sie vorsichtig die Beine zu spreizen, um ein weiteres Zusammenwachsen zu verhindern. Doch die Schmerzen waren unerträglich. Schließlich wickelte sie ein Halstuch um die Knie, damit die Haut nicht durch eine falsche Bewegung riss.
Ihr Körper hatte einen fremden Bauplan. Die Metamorphose war nicht mehr aufzuhalten. Der Schmetterling konnte auch nicht in seinen Kokon zurück, erinnerte sie sich flüchtig an einen Nachmittag auf einer Wiese im Park von Chicago. Josi versuchte erneut zu stehen, doch die Beine waren wie Gummi und gaben nach. Mit Hilfe der Krücken schleppte sie sich zum Einbauschrank, warf Blusen und Röcke auf den Boden und zog die Kleiderstange hervor.
Dann legte sie die Stange an die Stelle, wo ihre Beine zusammengewachsen waren. Nur eine leichte Vertiefung ließ erkennen, wo Oberschenkel und Knie miteinander verschmolzen waren. So fest es ging, wickelte sie das Laken um ihren Fischunterleib und verknotete es.
Sie
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