2030 - Chimaerenblut
Er hütete sich, Gardens Gedankenfluss zu stören. Sie mussten Josi suchen, und dabei einen Weg finden, irgendwie miteinander auszukommen.
Plötzlich sah Garden auf. »Leon, ich habe einen Termin auf der Yacht, auf der Josi zuletzt war. Ich werde Sie da nicht mit hinnehmen. Die Familie lebt sehr zurückgezogen.«
Leon ließ das Messer lauter fallen als beabsichtigt. »Bin ich nicht gut genug für den reichen Familien-Clan?«
»Darum geht es nicht. Im Übrigen ist das nicht mein Familien-Clan. Das sind Freunde von…« Garden fasste sich an die Stirn und rang nach Worten. »…Freunde meiner Ex-Frau. Sie hat wieder geheiratet. Josis Stiefvater ist mit den Hildens befreundet.«
»Hilden?« Leon grübelte. Der Name kam ihm aus seinem Politikstudium bekannt vor. »Doch nicht der Kongressfuzzi , der für die Chimären-Gesetze zuständig ist?«
»Doch der.«
»Kein Wunder, dass Josi abgehauen ist. Und der hat Zeit, sich auf seiner Yacht zu sonnen? Müsste der nicht arbeiten?« Leon schüttelte den Kopf. »Na klar, die haben sich rechtzeitig abgesetzt. Warten hier in aller Seelenruhe, bis sich die Welt wieder beruhigt. Ich sag Ihnen was, die Welt beruhigt sich nicht mehr.«
»Leon, und diese Einstellung ist genau der Grund, warum ich Sie nicht mitnehme. Fahren Sie in die Dubai Mall und kaufen Sie sich dünne Klamotten. Draußen ist es verdammt heiß. In vier Stunden hole ich Sie hier im Hotel ab und dann sehen wir weiter.«
78
Montag, 10. Juni, Dubai:
Das Schnellboot dümpelte im Marina Hafen. Kratzer hatte schlechte Laune. Leise vor sich hin fluchend, ging er in seine enge Kajüte und schaltete den Monitor sowie die automatische Sprachübersetzung ein. Auf dem Bildschirm erschien eine platinblonde Frau im weißen Lederkostüm. Seine Chefin, Anna Slottkakowa .
»Ja.«
»Kratzer, endlich. Gibt es Neuigkeiten?«
»Nein, leider noch nicht.« Er drehte nervös seinen Siegelring.
»Verdammt! Bezahle ich euch fürs Nichtstun? Findet endlich diese Josefine.« Er zuckte zusammen. Die Stimme seiner Chefin hatte eine schrille Höhenlage angenommen. »Wir brauchen sie hier, und zwar lebendig. Hast du mich verstanden? Tot nützt sie uns nichts. Wenn sie tot ist, finden wir nie raus, wie das Virus vorgeht. Geht das in dein Spatzenhirn nicht rein?«
Kratzer blickte mühsam beherrscht auf den Monitor. Wie ihm das Weib auf den Zwirn ging. Frauen sollten nicht so viel Macht haben. Er kniff die Augen zusammen und sah an ihr vorbei. Hinter ihr war ein riesiger weißer Ledersessel, den er nur von hinten sehen konnte. Ein Fuß mit einem Männerschuh ragte hervor. Kratzer brachte sein Gesicht näher an den Monitor. Der Chef persönlich? Er hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Dieser Mann blieb immer im Verborgenen. Kratzer vernahm seine flüsternde Stimme.
Anna Slottkakowa straffte ihre Körperhaltung und setzte eine Eisesmiene auf. »Ihr bekommt in zwei Stunden Verstärkung. Ivan ist auf dem Weg zu euch. Leon ist ebenfalls in Dubai. Zusammen mit Josis Vater. Wir haben die Passagierlisten. Findet heraus, in welchem Hotel sie eingecheckt haben und beschattet sie. Aber kidnappt nur Leon. Garden wird uns zu Josi führen.«
»Warum ist Leon in Dubai? Ich denke, der sitzt in Kaliningrad fest.«
»Kratzer, du wirst nicht fürs Denken bezahlt, sondern dafür dass du meine Befehle ausführst.« Sie beugte sich vor und unterbrach die Videoschaltung.
Er trat mit dem Fuß gegen den Kajüten-Schrank und stieg an Deck. Zwei Froschmänner drehten sich lachend um.
Kratzer riss einem der Männer die Taucherbrille vom Gesicht und warf sie über Bord. »Tauchen und erst wiederkommen, wenn du die Göre hast!«, brüllte er und wandte sich an den anderen. »Und du machst solange Liegestütze. Im Neopren! Bis dir das Wasser den Arsch runterläuft.«“
Wütend blickte er nach oben zu den Wolkenkratzern, die sich hinter dem Marina Hafen erstreckten. In welchem Hotel habt ihr eingecheckt? Ich werde euch finden. Aber zuerst statten wir der Yacht der Hildens einen Besuch ab. Mal sehen, ob sich der Fisch dort blicken lässt. Irgendwo muss die Göre ja schließlich sein.
79
Montag, 10. Juni, Dubai:
Ivan saß seit Stunden unter Deck, klickte sich durch die Satellitenaufnahmen und blickte fremden Familien beim Kaffeetrinken, Sonnenbaden und Vögeln zu. Seine Laune sank von Minute zu Minute. Ihm gegenüber saß Kratzer und telefonierte sich alphabetisch durch die Hotels. Er gab sich als Geschäftsfreund von Thomas Garden aus, der eine
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