223 - Gaston, Diana - Die mysteriöse Miss M
Madeleine hoch und trug sie ins Schlafzimmer, als sei er der Ehemann, der seine Frau über die Schwelle trug.
Es war kühl, als sie sich am nächsten Abend über die Themse rudern ließen. Madeleine korrigierte mit zitternden Fingern den Sitz ihrer Maske, der sie an ihre Nächte bei Farley erinnerte, auch wenn der weiche Stoff wie eine flüchtige Berührung auf ihrer Haut lag. Sie zog den Wollschal enger um ihre Schultern. Als sie das Dock erreichten und Devlin ihr aus dem Boot half, kam ihr die Luft etwas wärmer vor.
Madeleine nahm Devlins Arm und ließ sich von ihm zum Eingang zu den Vauxhall Gardens führen. Er grinste sie an, seine Maske ließ ihn dabei wie einen wüsten Banditen aussehen. Mit der unauffälligen Hose und Jacke sah er aus wie jeder beliebige junge Mann in der Stadt. Er hatte ihr Anonymität versprochen, die für sie wichtiger war als eine Nacht voller Musik und Tanz, wichtiger auch als eine Gelegenheit, wieder einmal das goldene Abendkleid zu tragen, das Devlin ihr gekauft hatte.
Besucher aus allen Schichten der Bevölkerung drängten sich vor dem Eingang, viele von ihnen waren ebenfalls maskiert. Madeleine vermutete, dass es sich um Verkäuferinnen und Angestellte, um Dienstmädchen und Diener handelte, die hier zusammenkamen und Standesunterschiede in der Dunkelheit der Nacht verschwinden ließen. Sie fragte sich, warum sie ihre Identitäten hinter einer Maske verbargen. War es die Chance, sich als eine andere Person auszugeben? Oder wollten sie die Wahrheit verstecken?
Für Madeleine bedeutete sie die Notwendigkeit, nicht erkannt zu werden, zugleich die Gelegenheit, ein wenig zu träumen. Für diesen einen Abend würde sie einfach so tun, als existiere außerhalb der Mauern von Vauxhall Gardens kein Leben.
Devlin zahlte die erforderlichen sechs Schilling Eintritt, dann passierten sie das Eingangstor.
Nach ein paar Schritten verschlug es Madeleine den Atem, da sie das Gefühl hatte, im Himmel gelandet zu sein. Überall funkelten Lichter, die wie Sterne wirkten. In Wahrheit handelte es sich um chinesische Lampions, die man überall in den Ulmen entlang dem Grand Walk aufgehängt hatte.
Je weiter sie gingen, umso deutlicher war die weit entfernte Musik zu hören.
„Was sollen wir als Erstes machen, meine Liebe?“, fragte Devlin, der Madeleine an sich drückte. „Es gibt so vieles zu sehen.“
„Ich weiß es nicht.“ Sie sah sich um, als sie den Grand Cross Walk erreichten.
„Dann lass uns einfach weiter spazieren gehen, bis du nicht mehr möchtest.“
Devlin führte sie den South Walk mit seinen Torbögen und aufgemalten Ruinen entlang. Dabei hielt er stets Ausschau nach jenen jungen Männern, die darauf warteten, eine nichts ahnende Frau auf einen der dunkleren Seitenwege zu ziehen. Zahlreiche Männer starrten Madeleine unverhohlen an, und Devlin war froh, dass sie von der farbenprächtigen Umgebung zu abgelenkt war, um von ihnen Notiz zu nehmen.
Als sie durch den The Grove genannten Teil der Anlage spazierten, war deutlicher zu hören, dass Musik von Haydn ihren Teil zum Zauber von Vauxhall beitrug. In Höhe jener Stände, an denen verschiedene Speisen angeboten wurden, bemerkte Devlin etliche bekannte Gesichter. Er vermutete, dass die feine Gesellschaft entschieden hatte, hier den Abend zu verbringen. Wer letztlich bestimmte, welche Veranstaltung die wichtigere war, das blieb ihm allerdings ein Rätsel. Immerhin wusste er, dass Emily Duprey nicht herkommen würde. Er wünschte, er könnte ihre Existenz wenigstens für diesen Abend vergessen und so tun, als gebe es außer Madeleine keine andere Frau.
Die Maske verlieh ihm eine Freiheit, die er anders nicht hätte genießen können. Mit ihr konnte er durch Vauxhall schlendern, einem Earl oder einem Duke begegnen und dabei Madeleine im Arm haben, anstatt sich mit ihr in der Wohnung nahe St. James’s zu verstecken. Heute Abend war er einfach nur ein Mann, der eine Frau begleitete, kein Gentleman mit seiner Geliebten. In dieser Anonymität unterschieden sich er und Madeleine nicht von den anderen anwesenden Paaren.
Er freute sich über Madeleines Begeisterung, die angesichts der angemalten Ruinen erklärte, die würden so echt wirken, dass sie fast versucht sei, sie zu betreten. Zu gern hätte er mit ihr eine dieser Ruinen aufgesucht, um niemals wieder zurückzukehren.
Am Ende des South Walk angekommen, gelangten sie zurück zum Grove. „Zeit zu tanzen, meine Liebe.“
Devlin
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