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227 - Herr des versunkenen Reiches

227 - Herr des versunkenen Reiches

Titel: 227 - Herr des versunkenen Reiches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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waren, schließlich bewegte man sich ja durch dreidimensionalen Raum. Quart’ol erklärte ihm, dass darauf hauptsächlich große Lasten transportiert worden waren, von Riesenlangusten und -schnecken gezogen, und sie außerdem der Orientierung dienten.
    »Wir sind hier auf der Roten Allee.« Quart’ol wies hinaus auf das uralte Pflaster. Roter Perlmuttglanz schimmerte zur Transportqualle hoch. »An der Zweiten links musst du abbiegen, Matt! Das ist der Schlotweg.« Er lachte. »Keine besonders vornehme Gegend. Aber warm! Ich glaube, es wird euch da gefallen.«
    Der Schlotweg.
    Das klang nach Fabrik, nach Schornsteinen und jeder Menge Ruß. Nach kleinen, bescheidenen Arbeiterunterkünften, die geliebt wurden und trotzdem immer ein wenig schmuddelig wirkten. Hier hatten auch tatsächlich einmal Fabrikarbeiter gelebt. Allerdings war die hydritische Definition von Klein und Bescheiden eine andere als die der Menschen.
    Matt und Aruula staunten bei dem Anblick, der sich ihnen bot. Unter der Straße lagen hydrothermale Quellen. Ihr heißes, stark mineralhaltiges Wasser kam mit Druck und sprudelnden Bläschen aus dem Boden, verwirbelte im Gezeitenstrom und trieb davon. Die Inhaltsstoffe aber flockten wieder herunter. So hatten sich Schlote an den Austrittsstellen gebildet, was der Straße ihren Namen gab.
    Mittlerweile bedeckte das Mineraliengestöber auch die uralten Häuser; zwei Reihen identischer Gebäude, deren Grundform – Schneckenmuscheln – man gerade noch erkennen konnte. Sie lagen samt ihrer Gärten unter einer dicken weißen Schicht begraben, die an jeder Kante, jedem Vorsprung Stalaktiten ausformte. Im Licht der Bugscheinwerfer fing alles an zu glitzern, auch die unablässig herunter schwebenden Mineralienflocken. Der Schlotweg sah aus wie ein Wintermärchen.
    »Hab ich zufällig entdeckt«, sagte Quart’ol. »Gefällt’s euch?«
    Matt nickte lächelnd. »Das erinnert mich an ein Spielzeug, das es zu meiner Zeit gab: Wassergefüllte Glaskugeln mit einer Landschaft aus Plastik und Wachsflocken. Man schüttelte die Kugel, und es fing an zu schneien. Ich wette, hier gibt es noch mehr, das man zufällig entdecken möchte.«
    »Kannst du wohl sagen«, klackte der Hydrit. Er wies auf die Quallenschleuse: Zeit zum Aussteigen. »Ich wüsste zum Beispiel gern, wo die Zentralschaltung ist.«
    »Zentralschaltung?«
    »Ja.« Quart’ol hielt Aruula eine Räuberleiter. Vor zwei Stunden hätte sie die Schleuse noch bequem allein erreicht, weil sich der Prototyp in der Tiefsee fest zusammenzogen hatte. Hier jedoch, unter Gilam’esh’gads moderaten Druckverhältnissen, war er geradezu aufgequollen. Quart’ol erklärte: »Es gibt Hinweise, dass die örtliche Energieversorgung über eine zentrale Schaltanlage geregelt wurde. Bisher habe ich nur kleinere Aggregate lokalisiert. Aber wenn man die Stadt wieder zum Leben erwecken will, muss man den Hauptschalter finden.«
    »Ich helfe dir dabei!«, bot Matt sofort an.
    Kurz darauf waren die vier Gefährten unterwegs zu einem der winterweißen Häuser. Yann hatte sich erst heftig dagegen gesträubt, die Transportqualle zu verlassen, weil er glaubte, er müsste im Wasser schlafen. Aber Quart’ol konnte den Seher beruhigen. Das Gebäude, das sie bezogen, war mit bionetischen Schleusen versiegelt und konnte leer gepumpt werden.
    Quart’ol führte erst ihn, dann Aruula und Matt in ein Zimmer. Beide lagen zur Straße hin und wurden von den heißen Quellen angenehm erwärmt. Der Hydrit kannte sich aus in dem Gebäude; das merkte man, als er zielstrebig loszog, um eine Abendmahlzeit und »etwas für die Nacht« zu holen, wie er sagte.
    Als er zurückkam, hatte Aruula ihren Druckanzug abgelegt. Er gehörte zur Ausstattung des Prototyps, war also für Hydriten angefertigt, die selten mehr als einen Meter fünfundsechzig maßen. Auch wenn das bionetische Material dehnbar war, wurde es auf Dauer zur Qual für Menschen. Besonders, wenn sie gleich mehrere Tage in ihm verbringen mussten. Entsprechend erleichtert sah die Barbarin aus. Nackt bis auf einen Lendenschurz stand sie da, ohne Scheu, und massierte sanft die Druckstellen, die der Anzug an ihrem Körper hinterlassen hatte.
    Quart’ol wusste nicht, wohin mit seinen Blicken. Aruula war zwar eine Menschenfrau, und die entsprachen nicht ganz dem Schönheitsideal männlicher Hydriten. Aber diese Eine war die Ausnahme. So jung. So perfekt geformt und von einer Anmut, die man sonst nur von den faszinierendsten Wesen der Wildnis kannte:

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