Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2582 - Ein Kind der Funken

2582 - Ein Kind der Funken

Titel: 2582 - Ein Kind der Funken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Lukas
Vom Netzwerk:
zufügte.
    Im Inneren war es nicht warm und nicht kalt, nicht beengt und nicht geräumig, nicht hell und

nicht dunkel.
    Einige Kerzen leuchteten, jedoch ohne Flamme. Sonnenstrahlen beschienen sie, die durch das

einzige, mit einem ornamentalen Mosaik verzierte Fenster in der Rückwand fielen, obwohl draußen

der Himmel bedeckt gewesen war.
    Die Kapelle war kärglich eingerichtet: drei Reihen schiefer, verwitterter Holzbänke; eine

Orgel mit höchstens zwei Dutzend Tasten; ein schmuckloser Altartisch, auf dem Brotkrümel,

Käserinden und Eierschalen lagen.
    In der ersten Bankreihe saß, den Oberkörper vornübergebeugt, eine Gestalt, die eine Kutte mit

Kapuze trug. Vom Gesicht war nicht viel mehr zu sehen als ein langer weißer, struppig verfilzter

Bart.
    Tanio sank neben dem Mönch in die Knie; weniger aus Ehrerbietung denn aus Schwäche. Blut

tropfte aus seinen Wunden.
    »Genistos«, presste er hervor. »Ich grüße dich.«
    »Willkommen zu Hause, Schuljunge.«
    Anekdoten vom Berg des Lichts (IV): Das Schattentheater
    Viel Zeit ist verstrichen, viele Lektionen haben wir durchgenommen, seit du zu mir

heraufgefunden hast. Die Philosophie ist ein weites Feld. Wer sich mit ihr beschäftigt, kommt nie

zu einem Ende.
    Du willst nicht aufgeben, nicht wieder absteigen in die Niederungen deiner früheren Welt, ehe

du dir den totalen Durchblick verschafft hast? O weh, Schuljunge. Wir könnten ewig so

dahinplaudern.
    Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde. Ohne dich wäre es sehr still hier oben. Ohne dich

würde ich nicht einmal existieren.
    Du bist irritiert? Schön, noch ein Löffel Erkenntnistheorie. Angenommen, du lebtest in einer

Höhle, die du noch nie verlassen hast.
    Frag nicht, warum, es ist nur ein Gleichnis. Wir könnten auch eine Raumstation nehmen, bei der

die
    Funkgeräte und Rettungsboote defekt sind. Aber das Bild der Höhle hat eine längere

Tradition.
    Jedenfalls sähest du von der Welt nur den kleinen Ausschnitt jenseits des Höheneingangs. Die

überwiegende Mehrheit bliebe dir verborgen, das »große Ganze« sowieso.
    Kannst du mir so weit folgen?
    *
    Bevor die Eisenräude in seiner Stadt Einzug hielt, führte der Funkfürst Daskylios einige

interessante Experimente an Unfreiwilligen durch.
    Er ließ Kinder in einem unterirdischen Kerker so festbinden, dass sie sich nicht bewegen und

immer nur auf die gegenüberliegende Wand starren konnten. Starke Scheinwerfer hinter ihren Rücken

beleuchteten diese Wand.
    Trug man nun zwischen ihnen und den Scheinwerfern diverse Puppen und Gegenstände vorbei, so

warfen sie Schatten, und diese Schatten waren das Einzige, was die Kinder sahen. Sagten die

Träger Texte auf, hallte es von der besagten Wand zurück, als sprächen die Schatten selbst.
    Nach einigen Jahren ließ Daskylios bei einem der mittlerweile herangewachsenen Gefangenen die

Fesseln lösen. Man drehte ihn um, sodass er die Versuchsanordnung überblickte.
    Da er aber von den Scheinwerfern geblendet wurde, erschienen ihm die Puppen und ihre Träger

weniger real als ehedem die Schatten. Weinend bat er darum, wieder seine gewohnte Position

einnehmen zu dürfen, von der aus er deutlicher sehen könne.
    Auf Geheiß des Funkfürsten schleppte man ihn aus dem Kerker ins Freie, ans Tageslicht.

Abermals wurde er geblendet und konnte anfangs nichts erkennen. Mit der Zeit jedoch unterschied

er dunkle und lichte Formen, starre und bewegliche Objekte, entdeckte Spiegelungen wie jene des

Sees sowie, woher das Licht kam und dass davon Schatten geworfen wurden.
    Daskylios stellte ihm frei, seine ehemaligen Mitgefangenen darüber aufzuklären. Doch nun

wollte er um keinen Preis mehr in den Kerker seines alten Lebens zurück ...
    *
    Schuljunge, du kommst mir vor wie dieser Gefangene. Standhaft weigerst du dich zuerst, deinen

Horizont zu erweitern, und später, Nutzen für die Allgemeinheit daraus zu ziehen.
    Lieber hockst du bei mir und vergnügst dich mit Aporien und Sophistereien. Du nennst mich

ehrfurchtsvoll Genistos Befurisfagis und weißt doch insgeheim, dass dieser Name das hochtrabende

Pseudonym eines zeitgenössischen Komikers ist. Sowie, nebenbei bemerkt, ein übles Wortspiel unter

Benutzung eines antik-alpinterranischen Dialekts, übersetzt ins Interkosmo: »Genieß das, bevor

ich es vergesse.«
    Wie? Du verdächtigst mich, dich aufs Glatteis locken zu wollen? Mit derlei kruden Thesen deine

Ergebenheit zu prüfen?
    Spar dir die vorgeschobenen

Weitere Kostenlose Bücher