2720 – Im Stern von Apsuma
Holosker herrschte das ungeschriebene Gesetz, keinen Verletzten auf ein Picknick zu schicken, sondern bis zu seiner Genesung abzuwarten. In den vergangenen zwei Wochen waren die Überlebenden des Gemetzels weitgehend wiederhergestellt worden. Knochenbrüche waren verheilt, neue Organe gezüchtet und transplantiert, innere Verletzungen verklebt, die schrecklichen Risswunden beseitigt worden.
Doch vergessen hatte keiner der Schlafteiler, was ihnen zugestoßen war. Sie warfen Schechter hasserfüllte Blicke zu, sagten jedoch nichts. Ihre Gesten ließen allerdings keinen Zweifel offen, was sie zu tun gedachten, wenn sie mit Schechter endlich allein waren.
Halit-Bakud störte sich nicht im Geringsten daran. Er wollte ein Exempel statuieren. Sein Grinsen bewies, dass er hoffte, das Problem Schechter würde sich endgültig von selbst lösen.
»Ihr seid selbst schuld«, sagte er. »Ich habe euch gewarnt. Wenn ihr nicht hören wollt ...«
Er sah die sieben Schlafteiler der Reihe nach an. »Denkt an die Regeln des Picknicks. Wenn ihr den Tomopaten tötet, bekommt ihr den Rest seiner Strafe aufgebrummt, aber wir holen euch sofort zurück. Er trägt einen Ghyrd. Achtet darauf, dass er ihn nicht ablegen kann, wenn ihr ...« Er verstummte. »Aber ihr wisst ja jetzt hoffentlich, was ihr zu tun habt.«
Er drehte sich zu den Schneekugeln um und gab ihnen ein Zeichen. Die vier Roboter traten vor, fuhren die Greiftentakel aus und ergriffen die acht Delinquenten. Der Schlafteiler, der gemeinsam mit Schechter von einer Schneekugel transportiert wurde, leistete heftigen Widerstand. Er wollte nicht als Nachbar des Tomopaten in das unendliche Eis hinausgeflogen werden. Aber der Roboter beachtete seine verzweifelte Gegenwehr nicht.
Das Schott öffnete sich, und kalter Wind stob in den Raum und verwandelte den Schweiß auf den Gesichtern der Schlafteiler umgehend in kleine Eisklumpen.
Dann ging es hinaus in das ewige Eis.
*
Schon der Flug wenige Meter über dem Boden war bei dem eiskalten Sturm grauenvoll.
Schechter hing in den Tentakeln der Schneekugeln und schaute auf die Eiswüste hinab, deren Oberfläche er in dem Unwetter kaum ausmachen konnte. Er versuchte, die Arme zu bewegen, doch es gelang ihm nicht. Halit-Bakud hatte den Ghyrd durch einen zusätzlichen Verschluss sichern lassen, den Schechter nicht ohne Hilfe öffnen konnte.
Der dünne Schutzanzug versorgte ihn zwar mit Atemluft und glich den Druck aus, doch vor der Kälte schirmte er ihn kaum ab. Sie drang in seinen Körper, schien seine Nervenbahnen in Brand zu setzen. Er wusste, dass es nur eine Täuschung war, eine trügerische Vorspiegelung, die ihn Kälte wie Hitze empfinden ließ.
Der Tomopat fragte sich, wie genau Halit-Bakud die Regeln des Picknicks diesmal nehmen würde. Wenn es ihm trotz des Ghyrds gelang, auch nur einen der Schlafteiler zu töten, müsste man ihn sofort hereinholen. Die anderen hätten draußen dann ein neues Problem unter sich zu klären.
Aber das hatte er nicht vor.
Der Flug dauerte lange, gefühlt doppelt so lange wie bei dem vorherigen Picknick. Doch irgendwann hatten sie ihr Ziel erreicht, 15 Kilometer von Holosker entfernt. Die Schneekugeln senkten sich langsam zur Oberfläche, und dann spürte Schechter die Kälte auch unter seinen Füßen. Er hatte wieder die schützenden Spezialschuhe anziehen dürfen. In normalen Stiefeln wäre das Picknick für ihn ein glattes Todesurteil gewesen.
Aber das war es auch so. 15 Kilometer! Diese Distanz hatte noch nie ein Gefangener überwunden.
Die Schneekugeln entließen ihn und die Schlafteiler aus ihrem Griff, stiegen wieder in die von gelbem Nebel verhangene Luft empor und flogen davon. Nur eine blieb zurück. Sie schwebte etwa ein Dutzend Meter über der Oberfläche und beobachtete die Gefangenen.
Schechter sah sich schnell um. Sie standen auf einer eisglatten Ebene, die bis zum Horizont reichte. Da und dort nahmen ihm gelbe Schwaden die Sicht. Sein Kompass zeigte an, in welcher Richtung Holosker lag, aber das interessierte ihn im Augenblick nicht.
Es war unvorstellbar kalt. Er atmete ganz ruhig durch, versuchte, so wenig kalte Luft wie möglich in die Lungen dringen zu lassen.
Weshalb machte er sich immer noch etwas vor? Er war bereit gewesen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Hätten die Schlafteiler sich nicht so dumm angestellt und seinen Ghyrd gelöst, hätte er sich von ihnen töten lassen. Aber der Überlebenswille in ihm war tief verwurzelt und ergriff automatisch die
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